Grüner Hügel am Küchengarten: Headquarter statt Wohnungen?

Die aktuellen Planungen für den Grünen Hügel sehen den Bau von Geschäftsräumen vor. Ursprünglich waren auch Wohnungen angedacht.
Die aktuellen Planungen für den Grünen Hügel sehen den Bau von Geschäftsräumen vor. Ursprünglich waren auch Wohnungen angedacht.

Der Lindener Bezirksbürgermeister Rainer-Jörg Grube hatte erheblichen Aufwand getrieben, um den Beschluss des Bezirksrates – nämlich eine corona-konforme möglichst breite Anhörung zum Thema Küchengarten – umzusetzen. Die Zukunftswerkstatt Ihme-Zentrum hatte zur Vorbereitung mit dem Verein „Politik zum Anfassen“ ein App-basiertes Beteiligungsverfahren installiert um trotz Corona möglichst viele Anregungen und Stellungnahmen aus dem Stadtteil einzusammeln (LINDENSPIEGEL Januar 2021) und vorzustellen.

Es kam anders: Zunächst sagten infra und Verkehrsabteilung der Region ihre zugesagte Beteiligung bei der Anhörung kurzfristig ab. Dann wurden die 70 Meter Entfernung zwischen Stadtbahnhaltestelle und der Aula des Gymnasiums Limmer für einige Bezirksräte zum unüberwindlichen Hindernis, weil es vor der Sitzung am Montag, 8. Februar geschneit hatte. Die Versammlung war nicht mehr beschlussfähig und musste deshalb abgesagt werden. Ob und wann der Termin nachgeholt werden kann, ist völlig offen.

Sicher ist dagegen, dass das Stadtplanungsamt einen Aufstellungsbeschluss zu einem vorhabenbezogenen Bebauungsplan in den Bauausschuss einbringen wird. Der bezieht sich auf einen Vorhaben- und Erschließungsplan für das städtische Grundstück zwischen Limmerstraße, Fössestraße und Elisenstraße – den sogenannten Grünen Hügel. Grundlage ist ein Entwurf des Rotterdamer Architekturbüros Monadnock. Dieser Entwurf ging als Sieger aus einem Architektenwettbewerb des Stadtplanungsamtes hervor. In der Veröffentlichung der Landeshauptstadt Hannover heißt es zu Recht: „Der Gewinnerentwurf formuliert einen Eingang für den Stadtteil, der auf den Maßstab des Ortes mit unterschiedlichen Gesten eingeht“. Auch die vorgesehene Nutzung – nämlich eine Sockelzone mit „öffentlichen Nutzungen“ die das Angebot der Limmerstraße ergänzen sowie 80 Wohnungen mit etwas Gewerbe schienen – für den Ort angemessen.

Begrüßenswert an der Planung ist auch die Überbauung eines Teils der überdimensionierten Elisenstraße. Ungelöst bleibt allerdings, wie verhindert werden soll, dass Verkehrsteilnehmer aus der verbleibenden Elisenstraße als Geisterfahrer in die Gegenfahrbahn der Blumenauerstraße einfahren. Die Umlenkung dieser Spur vor der Verkehrsinsel in der Blumenauer Straße erscheint ziemlich aussichtslos, weil die dafür nötige Fläche ohnehin schon mit verwirrenden Markierungen für zahlreiche Verkehrsarten übersät ist.

Insofern wird dieses Projekt die Neuordnung des Verkehrs auf dem Küchengarten auf die Agenda rücken. Möglich ist, dass sich dieses Problem am einfachsten so lösen lässt, wie es die Zukunftswerkstatt Ihme-Zentrum vorschlägt: Verlegung der Einmündung der Elisenstraße in die Spinnereistraße als T-Kreuzung.

Wenn in anderen Städten wie Ulm oder Münster ein großes, zentrales und stadteigenes Grundstück bebaut werden soll, werden dort zunächst städtebauliche Zielvorstellungen für sinnvolle Nutzungen und stadträumliche Zusammenhänge unter Beteiligung der Bürger entwickelt. Dann wird das Grundstück mit einem transparenten Verfahren ausgeschrieben. Dabei gewinnt nicht der Investor, der den höchsten Preis bietet, sondern der, der am besten die gemeinwohlorienierten Zielvorgaben erfüllt (Konzeptvergabe). Um diese Vorgaben lange Zeit sicherzustellen, wird das öffentliche Grundstück nicht verkauft sondern mit einem Erbpachtvertrag vergeben.

In Hannover läuft das ganz anders. Der Bezirksrat Linden-Limmer hat 2016 einen Antrag beschlossen, dass ein integriertes Verkehrskonzept für den Küchengarten entwickelt wird, damit über die Herstellung von Wegeverbindungen, Nutzungszusammenhängen und Raumbezügen der Sockel des Ihmezentrums aus seiner Isolation heraus in den Stadtteil einwachsen kann. Der Antrag wurde von der Stadtverwaltung abgelehnt. Kurz danach wurde ein Architektenwettbewerb ausgelobt, der zu dem schönen Entwurf des Rotterdamer Büros führte. Die stadtplanerische Grundlagen des Wettbewerbs bestimmte allein die Stadtverwaltung.

Bei der jetzt vorliegenden Überarbeitung des Entwurfs werden Wohnungen und öffentliche Einrichtungen gegen Büros und ein Altenpflegeheim ausgetauscht. Besonders gegen diese Änderung wehrte sich der Bezirksrat mit einem einstimmig beschlossenen interfraktionellen Antrag auf der jüngsten Sitzung am 24. Februar. Diese Nutzungen beleben weder das Erdgeschosses noch stellen sie neue Zusammenhänge zum Sockel des Ihmezentrums her. Dringend benötigte Sozial- und Genossenschaftswohnungen finden keinen Platz.

Der Bezirksrat stimmt mit seiner diesbezüglichen Forderung sehr genau mit den Ergebnissen des Beteiligungsverfahrens der Zukunftswerkstatt überein: Für Wohnungen sprachen sich 53 Prozent er Befragten aus, für Einzelhandelsflächen im EG 16 Prozent. Für die jetzt überwiegend geplante Büronutzung votierten lediglich 4,2 Prozent. Unverständlich wird die Nutzungsänderung auch durch die gegenwärtige Entwicklung des Immobilienmarktes: Wohnungsmieten und Preise für Wohnungen steigen trotz Krise kontinuierlich. Die Nachfrage nach Büros hingegen – vor allem für große zusammenhängende Flächen – ist um 27 Prozent eingebrochen. Ob sich diese Nachfrage angesichts des gegenwärtigen Digitalisierungsschubs je wieder erholen wird, ist fraglich. Nach 14 Jahren Dornröschen-Schlaf geht es mit dem Grünen Hügel nun plötzlich ganz schnell: Um eine Ablehnung im Bezirksrat zu umgehen, überholt der Aufstellungsbeschluss des vorhabenbezogenen Bebauungsplans die Anhörung zum Küchengarten und wird schon im März direkt in den Bauausschuss eingebracht. Wenn nicht alle Partner des Ampelbündnisses gegen diese Vorlage sind, werden damit die Pflöcke hinsichtlich des unpassenden Nutzungskonzepts durch die Kopplung mit dem Vorhaben- und Erschließungsplan des Investors eingeschlagen. Daran kann dann im weiteren Verfahren nur noch herumkritisiert werden.

Erklärlich wird der zügige Fortschritt des Projektes im Verborgenen durch die Zusammensetzung von Investor und Nutzer. Aus gewöhnlich gut unterrichteten Quellen ist zu erfahren, dass es sich auf beiden Seiten des Verhandlungstisches fast ausschließlich um stadt- oder regionseigene Gesellschaften handelt. Diese halten trotz der angespannten Haushaltslage ein eigenes, repräsentatives Bürogebäude auf diesem Grundstück für wichtiger als Sozialwohnungen. Um diese Frage nicht vorab mit Lokalpolitik und Bürgern diskutieren zu müssen, bestimmt dieser Kreis kommunaler Gesellschaften einen eigenen Investor, dem das Grundstück hinter verschlossenen Türen an die Hand gegeben wird. Bei diesem „Grundstücksgeschäft“ wird der wirtschaftliche Erfolg, Misserfolg und Subventionsbedarf von Grundstücksverkäufer, Investor und Nutzer in jedem Fall vom steuerzahlenden Bürger ausgeglichen. Das ist die neue, rein finanzielle Art der Bürgerbeteiligung in Hannover.

Lindenspiegel 03-2021 – Gert Runge

Bildnachweis: Lindenspiegel - Foto: Jan-Philipp Lücke