Das Kulturzentrum FAUST Das Lindener Flaggschiff der Alternativkultur ist 30
Nicht nur das Freizeitheim hatte am 28. Januar Jubiläum, sondern auch das Kulturzentrum FAUST. Es wurde 30 Jahre alt. 30 Jahre von der Gründung des Vereins FAUST – der nur wenig mit Goethes Faust zu tun hat, heißt er doch vollständig Verein für Fabrikumnutzung und Stadtteilkultur e.V. – bis heute sind eine lange Zeit. Viel ist passiert. Über die Vorgeschichte und die Anfangszeit des Vereins in Linden- Nord bis zum Anmieten von Räumen zum 1. Dezember 1991 habe ich in der letzten November- Ausgabe des Lindenspiegels berichtet. Hier wird die durchaus ebenso dramatische Folgezeit bis heute beschrieben. FAUST hatte also Ende 1991 einige Gebäudeteile bezogen und musste dafür dem Zwangsverwalter der insolventen Bettfedernfabrik relativ günstige Miete zahlen. Der alte Besitzer des Geländes konnte allerdings bald das ihm ebenfalls gehörende gegenüberliegende Grundstück am Bunker verkaufen und hatte wieder Geld zur Verfügung. Daraufhin erhielt er auch die Verfügungsgewalt über die Fabrik zurück. Er erhöhte für FAUST sofort die Miete um 600 Prozent. Weil FAUST dies nicht mitmachen wollte und konnte, kündigte der Eigentümer im Sommer 1993 die Verträge und drohte eine Räumung an. Weil die Stadt sich aus jeder finanziellen Unterstützung heraushielt, wurden andere Mitstreiter*innen gesucht. Die – durchaus von FAUST nicht so favorisierte – „Lösung“ für das Fabrikgelände war dann die Aufspaltung in drei Teile: das Grundstück im Süden an der Wilhelm-Bluhm-Straße sollte für Wohnzwecke verkauft werden, FAUST sollte die Osthälfte erhalten und die Fläche an der Leinaustraße, die Westfläche, war für einen Ökologischen Gewerbehof vorgesehen.
Der Preis für den Kauf des FAUST-Teils war inzwischen auch gestiegen: inklusive Mietnachzahlungen insgesamt auf immerhin 3,58 Millionen Mark. Die Lösung für den FAUST-Teil ergab sich dadurch, dass die gemeinnützige „Stiftung Umverteilen“ gewonnen werden konnte, um das Grundstück zu kaufen. FAUST muss für die Nutzung Zinsen zahlen. Ein Teil der Finanzierung der Gebäude konnte durch einen 900.000 Mark-Zuschuss des Landes Niedersachsen abgedeckt werden, für den Rest musste und konnte FAUST einen Kredit bei der Lindener Volksbank aufnehmen. Anders ging es aufgrund der fehlenden Unterstützung der Stadt nicht. Die Abbezahlung der Kredite/Verzinsung führte in der Folgezeit zu einer erheblichen finanziellen Dauerbelastung.
Zum Kauf gehörte der gesamte Ostteil, also neben dem Verwaltungsgebäude, Warenannahme und Zwischentrakt die Zinsser- Halle, die 60er-Jahre-Halle, das Kesselhaus und die angrenzenden Flächen (heute weitgehend als Biergarten „Gretchen“ genutzt).
1995 war nicht nur das Jahr des Kaufs, sondern auch der Beginn des aufwändigen Umbaus der Gebäude für die soziokulturelle Nutzung durch FAUST und seine vielen Mitnutzungsvereine. Zeitweilig arbeiteten 30 Personen bei FAUST, meistens per ABM-Stellen (Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für zuvor Arbeitslose, Stellen für zwei Jahre bezahlt vom Arbeitsamt). Der Umbau war – zusammen mit dem benachbarten Ökologischen Gewerbehof – bis dahin wohl auch das größte Bauprojekt in Linden, das versucht hat, möglichst viele ökologische Aspekte zu berücksichtigen. Aus Städtebauförderungsmitteln (Linden-Nord war damals noch städtebauliches Sanierungsgebiet) wurden zum Umbau 600.000 DM beigesteuert, eine Summe, die hoch erscheinen mag, aber bei weitem nicht die Kosten deckte.
Im Rahmen der gesamten Umgestaltung des ehemaligen Fabrikgeländes wurde dann auf der Fläche an der Wilhelm-Bluhm-Straße das ehemalige Kutscherhaus abgerissen. Zwischen dem Wohnblock, den die Kirchröder Baugesellschaft als Sozialen Wohnungsbau hier errichtete und den Fabrikhallen von FAUST und Gewerbehof wurde zur Erschließung eine kleine Straße gebaut. FAUST liegt seitdem nicht mehr an der Wilhelm-Bluhm-Straße, sondern an der neuen Straße „Zur Bettfedernfabrik“. FAUST hatte den Namen „In den Federn“ vorgeschlagen, konnte sich damit aber nicht durchsetzen. (s. FAUST/Ökol. Gewerbehof 1998).
Es gab bald Probleme mit der Finanzierung, mitverursacht auch durch die hohen Kreditkosten und durch die enormen Umbaukosten. So kam es dann 2005 dazu, dass FAUST Insolvenz anmelden musste. Der gemeinnützige Verein hatte aber insofern Glück, dass das Verfahren auch dank des Insolvenzverwalters 2010 erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Dazu gehörten als Konsequenz aus der Insolvenz in der Folge eine größere Professionalität gerade in Finanzierungsfragen und auch eine Umstrukturierung des Vereins. Mit der Trennung der Gebäude und deren Verwaltung vom Kulturbereich war ein Schritt zur Sicherung und Stabilisierung von FAUST unternommen worden: Um Gebäude, Vermietung usw. kümmert sich seitdem die FAUST-Stiftung, FAUST im Wesentlichen um den Rest, also den Kulturbetrieb. Die Gastronomie in der 60er-Jahre-Halle, Mephisto und Biergarten sind verpachtet worden. FAUST hat das den Vorteil, dass die Verpachtung kontinuierliche Einnahmen bringt.
Wichtig wurde nun die Position des Geschäftsführers bei FAUST, um ein wirkungsvolles Vereinsmanagement zu gewährleisten. Manche Lindener*innen erinnern sich vielleicht noch an den inzwischen verstorbenen Jürgen Kinder, der lange Zeit als Geschäftsführer tätig war. Nach einigen Kurzzeit-Geschäftsführern sorgt seit 2014 Hans-Michael Krüger für Kontinuität.
Die Gebäude auf dem FAUST- Gelände sind seit Jahren ähnlich aufgeteilt: Im Verwaltungsgebäude der ehemaligen Bettfedernfabrik hat nun FAUST seine Verwaltung und Büros, im Obergeschoss, in dem anfangs eine Wohngemeinschaft lebte, befindet sich jetzt vom Stephansstift die Tagesgruppe für Jugendliche „Löwenzahn“. Im Zwischentrakt arbeitet das Kinderprojekt „Lüttje Liga“. Neben der „Warenannahme“ mit seiner Kulturbühne befindet sich „Der Nachbarin Café“ (das ehemalige Café Siesta). In der großen „Zinsser-Halle“ (Zinsser hieß der bekannte hannoversche Architekt, der die denkmalgeschützte Halle in den 1950er Jahren erbaute) befinden sich im Parterre vor allem Werkstätten und im zweiten Geschoss Künstlergruppen. In der heute „Welt-Etage“ genannten ersten Etage wirken Vereine wie z.B. Kargah von der iranischen Gemeinde, das vietnamesische Nhan-Quyen-Zentrum, Günes e.V., das Kurden-Komitee, Mix e.V. oder Radio Flora e.V. Die in den 1960er Jahren gebaute „60er-Jahre-Halle“ bietet Platz für einen großen Konzert-Veranstaltungssaal. Das Obergeschoss wird von der Kunsthalle sowie seit einiger Zeit auch von „Landerer & Company“, einer Probebühne für ein Tanztheater, genutzt. Einige FAUST-Vereine wie die Initiative für ein Internationales Kulturzentrum IIK oder auch noch Kargah e.V. haben Räumlichkeiten auf dem benachbarten Gelände des befreundeten Ökologischen Gewerbehofs. Insgesamt sind bei FAUST über 25 Vereine/Projekte untergekommen.
Das denkmalgeschützte Kesselhaus der alten Fabrik konnte erst vor wenigen Jahren umfangreich umgebaut und am 11. Sptember 2016 geöffnet werden. Das Gebäude mit dem letzten alten (inzwischen renovierten und etwas gestutzten) Schornstein aus der Industrialisierungsgeschichte Linden- Nords hatte wegen der Asbestbelastung jahrelang kaum genutzt werden können. Für die wirklich gelungene Renovierung hatte es Mittel der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, der Klosterkammer und der Sparkasse sowie viele private Spenden gegeben. Durch das erhalten gebliebene Kesselgehäuse und Teile der alten Technik ist das Gebäude nicht leicht zu nutzen, wird jetzt im Rahmen des Möglichen aber mit Kunstaktionen und kleineren Veranstaltungen bespielt.
Der Biergarten „Gretchen“ am Kesselhaus ist nicht nur bei Fußball-Großveranstaltungen und schönem Wetter immer gut besucht. Das nahe Grün an der Ihme und Leine und der Charme der alten Fabrik laden auch Spaziergänger*innen zu einer kurzen Rast ein.
Neben der Funktion als Träger und Koordinator des „Vereinshauses“ mit den vielen festen NutzerInnen-Vereinen hat FAUST sein Eigenleben. FAUST bespielt die großen Veranstaltungsräume, sorgt also für Musikkonzerte, Lesungen wie die über Linden hinaus bekannten Poetry Slams oder Theateraufführungen wie früher das Impro-Theater. Legendär waren die BootBooHook-Festivals auf der sog. „FAUST-Wiese“ (die nicht FAUST, sondern der Stadt gehört) und dem Kronsberg-Gelände. FAUST arbeitet nicht nur mit den Mitgliedsvereinen zusammen, sondern ist auch mit anderen Projekten aus Linden vor allem in der Stadtteilarbeit tätig. Auch soziale und Bildungsangebote gehören zu den FAUST-Aktivitäten. Bekannt und beliebt ist der sonntägliche Flohmarkt auf dem FAUST-Gelände. Ein weiteres Highlight im alljährlichen Veranstaltungskalender ist das Internationale 1.Mai-Fest auf der „FAUST- Wiese“ Hier ist erfolgreich die Tradition eines alternativen 1. Mai-Festes aus den 1970er Jahren, das anfangs am Lister Turm, dann im Veranstaltungszentrum BAD stattfand, aufgegriffen worden.
Die letzten zehn Jahre sind insgesamt und im Vergleich zu den vorhergehenden zwanzig Jahren betrachtet recht ruhig für FAUST verlaufen. FAUST hat anscheinend die Anfangsprobleme überstanden und ist als Projekt erwachsen geworden. Viele alternative Projekte, KünstlerInnen und insbesondere Menschen mit Migrationshintergrund haben hier ein zweites Zuhause gefunden. Zahlreiche Menschen nutzen die vielen Angebote des Kulturzentrums. FAUST ist aus dem Lindener Kultur- und Alternativleben nicht mehr wegzudenken und trägt erheblich zur Attraktivität Lindens für (vor allem) jüngere Leute bei.