Wasserstadt Limmer – ein Zwischenruf „Viel Raum für den Bürger“

Ein Turm und marode Fabrikgebäude zeugen von der Geschichte der Conti-Industriebrache
Ein Turm und marode Fabrikgebäude zeugen von der Geschichte der Conti-Industriebrache

Man mag schon bald nichts mehr darüber hören oder lesen: Gemeint ist die Neubausiedlung „Wasserstadt“ in Hannover-Limmer. Hier entsteht eine Trabantenstadt für bis zu 5.000 Bewohner. Seit über 20 Jahren wird an der Großsiedlung auf der Conti-Industriebrache zwischen zwei Kanälen geplant. Ein erster Bauabschnitt ist bereits zur guten Hälfte fertiggestellt.

Um die Details der Planung ringen seit vielen Jahren der Investor Günter Papenburg, das städtische Baudezernat, der Stadtbezirksrat Linden-Limmer und eine hartnäckige Bürgerinitiative. Derzeit läuft die Planung des zweiten Bauabschnitts. Streitthemen sind Dichte der Bebauung, soziale Mischung, Abwicklung des Verkehrs sowie die Zukunft alter Fabrikgebäude.

Industriebrache der Continental AG

23 Hektar umfasst die Fläche der zukünftigen Großsiedlung. Damit ist die Wasserstadt nach Kronsrode das zweitgrößte aktuelle Neubaugebiet in Hannover. Auf der Industriebrache produzierte bis 1999 die Continental AG Reifen und andere Gummiwaren.

Danach erwarb der Bauunternehmer Günter Papenburg das Gelände. Sukzessive wurden fast alle Industrieanlagen abgeräumt und das Baugelände hergerichtet.

An die Conti erinnern heute noch ein ehemaliger Schornstein – auf Kosten des Steuerzahlers für eine runde Million Euro saniert – sowie die Ruinen ehemaliger Fabrikgebäude am Kanal. Diese denkmalgeschützten, zusehends verfallenden Gebäude waren nach Aufgabe der Industrieproduktion ein Eldorado für Graffitisprayer und Raver. Jahrelang blieben sie ungesichert – zuletzt ließ die Papenburg AG auch noch die Dächer abdecken. Der Investor möchte sie abreißen, scheiterte mit seinem Abbruchantrag aber zunächst vor Gericht.

Ideen für eine Nachnutzung der ortsbildprägenden Fabriken gab es viele. Sie reichten von Wohnungen über Kultureinrichtungen und Stadtarchiv bis zu Hochgaragen. Dabei war von Anfang an klar, dass es wegen der Belastung mit krebserregenden Umweltgiften aus der Gummiproduktion Probleme gibt. Letztlich scheitert der Erhalt der Gebäude an diesen „Nitrosaminen“. Unlängst legten die Gesundheitsbehörden deshalb ihr Veto gegen eine Umnutzung zu Wohnzwecken ein. Damit scheint der Abriss unabwendbar.

Gedenkort für ein Frauen-KZ

Eine Besonderheit im Baugebiet Wasserstadt wird sein, dass hier einem ehemaligen Arbeitslager der Continental AG gedacht werden soll. Dieses Konzentrationslager war von Ende Juni 1944 bis zur Befreiung Anfang April 1945 eines der Außenlager des KZ Neuengamme, in dem bis zu ca. 1000 weibliche Häftlinge inhaftiert waren. Unter SS-Bewachung schuften mussten die Frauen in der Rüstungsproduktion, unter anderem mit der Fertigung von Gasmasken.

Dem langen Engagement eines Arbeitskreises und dem Zusammenwirken mit der städtischen Erinnerungskultur ist es zu verdanken, dass im Bebauungsplan für den ersten Bauabschnitt nun ein „Gedenkort“ festgesetzt ist. Auf dieser Fläche standen vormals die KZ-Baracken. In Kooperation mit einer Baugruppe, die in der Nachbarschaft Wohngebäude errichten wird, soll dieser Ort würdig gestaltet werden.

Mit Heugabeln und Expertenwissen

Als 2014 die Pläne für die Großsiedlung öffentlich wurden, gründet sich aus Anlieger*innen und Betroffenen spontan die Bürgerinitiative Wasserstadt Limmer. Bei einer ersten Protestaktion treten BI-Mitglieder mit Heugabeln auf. Damit werden sie sofort ernst genommen – insbesondere von der Stadtverwaltung. In der Folge trifft sich der Kreis regelmäßig alle 14 Tage immer Dienstagsabends im Gemeindesaal der St. Nikolai Kirche. Kreiert werden eine lebendige Website und immer wieder Stellungnahmen und Pressemitteilungen.

Im Laufe der Jahre ist die Bürgerinitiative zu einer festen Größe in Limmer geworden. Zusammen mit dem Arbeitskreis Stadtentwicklung sind ihr vom städtischen Baudezernat zwei „Anwaltsplaner“ als fachliche Berater zur Verfügung gestellt worden. Auch das hat dazu beigetragen, dass die BI sich zunehmend zu einem Expertenkreis entwickelt hat. Dabei sitzen regelmäßig auch Mitglieder der im Bezirksrat vertretenen Parteien mit am Tisch.

Die Stadt hat bei der Planung der Wasserstadt von Beginn an das Thema Bürgerbeteiligung großgeschrieben. Fester Ansprechpartner der Stadt ist dabei die BI. Es gab unzählige große Bürgerversammlungen. Planungswerkstätten und – zumindest beim ersten Bauabschnitt – einen „Runden Tisch“, an dem Investoren, Verwaltung, Architekt*innen und Bürger*innen die Pläne ausdiskutierten. Auf ein solches Gremium ist jetzt beim zweiten Bauabschnitt – trotz der Proteste seitens der Bürgerinitiative – verzichtet worden.

Dokumentarfilm Wasserstadt 2014 bis 2023

Viel Raum für den Bürger“ lautet der Arbeitstitel eines abendfüllenden Dokumentarfilms, an dem die MedienWerkstatt Linden seit dem Frühjahr 2014 arbeitet. Gesammelt wurden über 100 Stunden Rohmaterial, von den Anfängen der Bürgerbeteiligung bis zum Einzug der ersten Bewohner*innen. In zahlreichen Interviews kommen Protagonist*innen aller Seiten zu Wort: aus Bürgerinitiative, lokaler Politik, von Investorenseite aber auch der planenden Verwaltung. Derzeit ist das Filmteam in der Endfertigung, eine Premiere des Werkes im Apollokino soll im Frühherbst stattfinden.

Bei der Wasserstadt müsse man sich „warm anziehen“ und einen langen Atem haben, sagte schon 2014 Bezirksbürgermeister Rainer Grube im Filminterview. Seitdem sind neun Jahre vergangen und ein Ende der Debatten ist noch nicht abzusehen. Spannende Frage ist derzeit, ob die ehrgeizigen Pläne von Stadt und Investor zur Fertigstellung der Trabantenstadt im Zeitplan umgesetzt werden können. Schon beim ersten Bauabschnitt hatte es – u.a. wegen der Hochpreisigkeit – bei der Vermarktung Schwierigkeiten gegeben. Die Entwicklungen auf dem Kapitalmarkt und die explodierenden Baukosten lassen für die Zukunft nichts Gutes erwarten.

Bildnachweis: Martin Tönnies, Wolfgang Becker