Das Ihme-Zentrum in Hannover ist ein imposanter Gebäudekomplex, der Wohn-, Büro- und Einzelhandelsflächen miteinander vereint und sich in zentraler Lage zwischen den Stadtteilen Linden und Calenberger Neustadt erstreckt. Direkt am Ufer des namensgebenden Flusses Ihme gelegen, erstreckt sich der Bau vom Platz „Küchengarten“ und der Spinnereistraße im Norden bis zur Blumenauer Straße im Westen. Die Südseite liegt in der Nähe des belebten Platzes „Schwarzer Bär“ und dem beliebten Veranstaltungszentrum Capitol. Der Standort bietet eine zentrale Lage und eine gute Anbindung an das urbane Leben Hannovers, was ursprünglich den Grundgedanken des Zentrums als eigenständigen urbanen Mittelpunkt widerspiegelt.
Geschichte des Ihme-Zentrum
Von der Mechanische Weberei zum gescheiterten Linden-Park
Mechanische Weberei 1925
Der Postkarte aus dem Jahr 1925 (Nachlass Werner Krämer) liegt ein Luftbild zugrunde, auf dem die Mechanische Weberei fototechnisch besonders hervorgehoben wurde. Als Anhaltspunkte zur Orientierung sehen wir unten die Ihme mit einigen Flussschiffen. Oben rechts befindet sich der Küchengartenplatz. Am rechten Bildrand, gleich neben dem dortigen Schornstein fährt ein dreiteiliger Straßenbahnzug zur Spinnereibrücke, die sich schräg unten rechts außerhalb des Bildausschnitts befindet.Blumenauer Straße 1901
Auf der Neujahrspostkarte von 1901 (Nachlass Ilse Popp) sehen wir die imposante Gebäudefront der Mechanischen Weberei längs der Blumenauer Straße. Sie wurde im Jahre 1837 zunächst als Privatunternehmen gegründet und 1857 von einer Aktiengesellschaft übernommen. Das Unternehmen stellte als bedeutendstes Produkt baumwollenen Samt, den sogenannten „Velvet“, her. So kommt auch der Name Velvetstraße in Linden-Nord nicht von ungefähr: dort befand sich eine fabrikeigene Arbeiterkolonie. Angesichts der aktuellen Debatte um Kinderbetreuungsplätze ist folgendes Zitat aus einer Broschüre über die Mechanische Weberei zu Linden vom Ende des 19. Jahrhunderts interessant: „Doch nicht allein ihren Erzeugnissen verdankt die Firma ihren Weltruf; auch ihren mannigfaltigen, auf der Höhe der Zeit stehenden Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen, worunter vor allem die seit 1873 bestehende vorbildliche Krippe für die Kinder der Arbeiterschaft besonders zu nennen ist, wird Bewunderung und Anerkennung gezollt.“
Blumenauer Straße 2007
Dies ist nun das aktuelle Vergleichsbild zur Neujahrspostkarte von 1901, aufgenommen am 6. April 2007. Die Bauzäune und die große Werbetafel in der Bildmitte (hinter dem „P“-Zeichen) deuten an, dass sich im Inneren des Ihme-Zentrums etwas tut. Das Ende ist vorerst offen – genauso wie die Erdgeschossetage halbrechts.
Lindener Samt
Mit der hübschen Reklamepostkarte (Sammlung Jürgen Wessel), deren Erscheinungsjahr uns leider unbekannt ist, wird auf possierliche Weise Reklame für den Lindener Samt gemacht. Bei dem abgebildeten Paar fühlt man sich glatt an den früheren Sarotti-Mohren und Claudia Schiffer („Weil ich es mir wert bin!“) erinnert.
Ihme-Zentrum um 1980
Und schließlich noch ein Bild aus der Blütezeit des Ihme-Zentrums (Nachlass Werner Krämer): vor etwa 30 Jahren war der Gebäudekomplex ein Symbol der Stadtmoderne und wurde folglich auch als Motiv für Ansichtskarten verwendet.
Ursprüngliche Konzeption des Ihme-Zentrums
Das Ihme-Zentrum sollte eines von mehreren hochverdichteten Wohn-, Arbeits- und Einkaufszentren sein, die in den 1960er-Jahren für das Stadtgebiet von Hannover geplant waren. Mit diesen Zentren sollte die Innenstadt entlastet und gleichzeitig zentraler Wohnraum geschaffen werden. Das Ihme-Zentrum war das einzige dieser Zentren, welches tatsächlich gebaut wurde. Ihme-Zentrum Panorama
Konzipiert wurde das Ihme-Zentrum als „Stadt in der Stadt“, die meisten für das tägliche Leben nötigen Einrichtungen sollten also im Zentrum selbst vorhanden sein. Im Süden und Norden von etwa 20-stöckigen Wohnhochhäusern eingerahmt, befinden sich dazwischen zwei fünf- bis sechsstöckige Riegel mit Wohnungen. Eine durchgängige Ladenpassage durchzieht das Ihme-Zentrum. An den äußeren Enden befinden sich größere, mehrstöckige Ladengeschäfte für Ankermieter, während dazwischen kleinere Ladenlokale dominieren. Eine fast das gesamte Zentrum unterkellernde zweistöckige Tiefgarage stellt eine große Zahl von Parkplätzen bereit. Eine Auflage für das fünfköpfige Architektenteam war, dass jeder Architekt eine eigene Wohnung im Ihme-Zentrum haben musste.
Baudurchführung
Am 11. November 1971 erfolgte die Grundsteinlegung, der Baubeginn war 1972. Das gesamte Zentrum wurde in einem Stück gebaut, was es zu einer der umfangreichsten Baustellen mit dem größten gegossenen Betonfundament Europas machte. Bis zum Baujahr 1975 entstanden eine Verkaufsfläche von 60.000 m² sowie Wohnflächen von 58.300 m² für ca. 860 Wohnungen (etwa 2.400 Personen) und 8.000 m² für etwa 450 Studenten. Die Fundamentgründung und die Anordnung der Hochhaustürme im Bereich Ihmeplatz ist zudem so gestaltet, dass relativ einfach ein U-/Stadtbahntunnel unter dem Bauwerk durchgeführt werden könnte, wie die Planungen aus den 1960er- und 1970er-Jahren es vorsahen.
Bilder aus der Bauphase von Horst Bohne:
Architektonische Probleme
Das Ihme-Zentrum hat mit mehreren architektonischen Problemen zu kämpfen:
- Der Bau ist im Stile des (schon zur Bauzeit umstrittenen) Brutalismus gehalten und an vielen Stellen verwinkelt und unübersichtlich.
- Die Ladenpassage ist nicht durchgängig überdacht, an einigen Stellen war es daher wetterabhängig sehr windig. In den 1980er- und 1990er-Jahren konnten ergänzte Dachkonstruktionen das Problem nicht vollständig lösen.
- Die Nähe zum idyllischen und grünen Ihmeufer wird nicht genutzt: von der Ladenpassage aus gibt es nur einige zugige Durchgänge auf eine hoch liegende Promenade, die weder durch Bewirtschaftung noch Möblierung aufgewertet ist.
- Am problematischsten ist die selbst gewählte Insellage: Die Hauptverkehrsebene des Ihme-Zentrums liegt eine Etage über Straßenniveau und ist nur an wenigen Stellen über Treppen, Rolltreppen und -bänder oder Fahrstühle erreichbar, die Fußgängerüberführung der Verkehrskreuzung am Küchengarten wurde nicht ausreichend akzeptiert. Die „Nullebene“ auf Straßenniveau dient ausschließlich der Bewirtschaftung und Anlieferung.
Die Eröffnung 1974
Mit einer großen Feier wurde am 31. Oktober 1974 die Fertigstellung begangen. 2 Kaufhäuser, ca. 50 differenzierte Einzelhandelsgeschäfte, 4 Bankfilialen, 11 Gaststätten, 1 Bowlingbahn und ergänzende Einrichtungen standen in der Anfangsphase zur Verfügung. Unterirdisch liegen ca. 2300 Parkplätze in zwei Tiefgaragenebenen und eine Anlieferstraße auf Straßenhöhe.
Quasi seit seiner Eröffnung hatte das Ihme-Zentrum mit Akzeptanzproblemen zu kämpfen. Die Ladenzeilen-Ankermieter der Anfangszeit, Kaufhof im Norden und der Lebensmittelmarkt Huma im Süden, waren nur wenige Jahre vor Ort. Auch Allkauf sowie verschiedene Folgemieter konnten sich im Süden nicht halten, sodass die dortige zweistöckige Verkaufsfläche seit etwa Mitte der 1990er-Jahre leer steht. Kaufhof wurde durch die hannoversche Filiale des Technikhauses Saturn-Hansa beerbt, die sich wesentlich länger hielt. Nachdem auch dieses Geschäft 2004 ausgezogen war, gab es keinen reichweitenstarken Kundenmagneten im Ihme-Zentrum, was den Niedergang der kleineren Läden nochmals beschleunigte.
Die Landeshauptstadt Hannover mietete Ende der 90er-Jahre im problematischen nordwestlichen Teil des Ihme-Zentrums Büroflächen von über 5.000 m², um den Verfall der Gebäude zu verhindern. Bezeichnenderweise wurde seinerzeit das Hochbauamt der Stadt von attraktiven Innenstadtbüros in das Ihme-Zentrum verlegt. 2002 wurden nach Auszug der Norddeutschen Landesbank von der Stadt Hannover weitere Büroflächen (ca. 5000 m²) für städtische Ämter gemietet, in Verbindung mit der Verpflichtung des Vermieters einer zügigen Revitalisierung des gesamten Komplexes. Damals standen fast alle Ladenlokale leer, weil der Umbau der gesamten Einkaufspassage unmittelbar bevorstand. Einzige publikumsrelevante Mieter waren Ämter der Landeshauptstadt und die Stadtwerke (enercity), die zwei Hochhäuser als Verwaltungsgebäude nutzen.
Seit 2023 stehen auch diese Büroflächen leer. enercity kündigte den Mietvertrag und baute eine neue Zentrale an der Glocksee. Die Stadtverwaltung kündigte ebenfalls alle Büroflächen, da der Investor die im Mietvertrag vereinbarten Sanierungsarbeiten nicht umgesetzt hat.
Gescheiterter Umbau zum Linden-Park
Anfang der 2000er-Jahre übernahm der Investor Engel einen Großteil der (leer stehenden) Ladenflächen. Dieser hatte in der Vergangenheit bereits andere, ähnliche Objekte in Deutschland erfolgreich saniert, u. a. das NordWestZentrum in Frankfurt am Main. Im Ihme-Zentrum konnten jedoch lange Zeit keine neuen Geschäfte, insbesondere keine Ankermieter, gewonnen werden. Nachdem dies im Jahr 2005 endlich gelungen war, war im Juni 2006 Baubeginn für eine grundlegende Sanierung, mit der auch die o. g. architektonischen Probleme entschärft werden sollen. Herzstück der Pläne ist dabei eine neue, mit viel Glas und hochwertigen Baumaterialien ausgestattete Ladenpassage im Erdgeschoss, also auf Straßenebene. Das Projekt läuft unter dem Namen Linden-Park und soll voraussichtlich im Herbst 2008 fertiggestellt werden. Außerdem ist eine Erneuerung der darüber liegenden Passage („Mall“) geplant.
Im Juli 2006 wurden jedoch plötzlich die Anteile der Firmengruppe Engel von der amerikanischen Carlyle Group übernommen, die den Umbau in leicht abgewandelter Form noch umsetzen wollte.
Wunsch und Planung 2006
Zweiter Revitalisierungsversuch
Anfang Oktober 2007 gab der Investor, die Carlyle Group, im Rahmen einer Pressekonferenz den Startschuss für die entscheidenden Revitalisierungsarbeiten des Ihme-Zentrums. Ende 2008 sollte der weitläufige Gebäudekomplex an der Blumenauer Straße und Spinnereistraße in Hannover-Linden in neuem Glanz erstrahlen. Der geplante Umbau zum Linden-Park wäre deutschlandweit eines der größten Revitalisierungsprojekte gewesen. In das ehrgeizige Projekt investiert die Carlyle Group einen dreistelligen Millionenbetrag. „Der Standort Hannover hat in Norddeutschland eine große Bedeutung. Mit dem Linden-Park haben wir die Gelegenheit, einen 70er-Jahre-Komplex in ein modernes Zentrum mit Büro-, Einzelhandels- und Wohnflächen zu verwandeln“, so Dr. Wulf Meinel, Managing Director der Carlyle Group Deutschland.
Nachdem das Investmentunternehmen den Linden-Park von der Unternehmensgruppe Engel erworben hatte, sind große Teile des Komplexes im Erdgeschoss entkernt worden. „Die Rückbauarbeiten sind umfangreicher ausgefallen, als wir ursprünglich angenommen hatten“, so Matthias Heß, Projektleiter für den Linden-Park bei der Carlyle Group. „Umso mehr freuen wir uns, dass wir jetzt mit den entscheidenden Arbeiten beginnen können“, so Heß weiter. Auf einer Fläche von 35 000 Quadratmetern sollte ein Einzelhandelszentrum mit Fachmärkten und einer weiträumigen Shopping-Mall entstehen. Nach deren Aussage waren bereits über 70 Prozent der Einzelhandelsflächen vermietet. Durch die moderne Architektur und die Verwendung von Glas sollte der Linden-Park ein lichtdurchflutetes Ambiente erhalten und seine zahlreichen Plätze sollten zum Verweilen einladen. Arbeiten an der Blumenauer Straße und den Zufahrten zum Parkhaus wurden umgesetzt, geplant waren die Sanierung des Stadtwerke-Turms sowie der Rückbau der Dachüberhänge und Dacheinbauten im Bereich der Passage. Dann sollte eine Installation einer neuen Dachkonstruktion
Wirklichkeit:
Stand der Dinge
- 2009 geriet der US-Fond in Schieflage, somit werden Handwerkerrechnungen nicht mehr bezahlt. Das führte zu einem Baustopp, beteiligte Firmen holen das nicht bezahlte Baumaterial von der Baustelle. Am 23. Februar meldet Carlyle für die beteiligten Tochterfirmen Insolvenz an.
- 2013 sucht die Landesbank Berlin zunächst einen Käufer für das Betonmonster. Für insgesamt 50 Millionen Euro soll ein Großteil der Gewerbeflächen und die Tiefgaragen bei einer Zwangsversteigerung „an den Mann“ gebracht werden. Mehrmals wird diese wieder abgesagt, bis 2014 dieser dann durchgeführt wird. Jedoch finden sich dabei kein Käufer.
- 2015 ist ein Investor gefunden worden. Die Firma Intown Investment hat die marode Immobilie bei einer erneuten Zwangsversteigerung für 16,5 Millionen Euro erworben.
- 2019 hat Intown überraschend das Ihme-Zentrum weiterverkauft. Neuer Besitzer wurde die Civitas Property Group des Unternehmers Lars Windhorst. Auch dieser tritt wieder mit großen Plänen und hohen Investitionsplänen auf, die jedoch nicht umgesetzt werden.
- 2022 setzt die Stadt der Windhorsts-Projektgesellschaft eine letzte Frist, um zugesagte Umbauten durchzuführen. Auch diese verstreicht, woraufhin die Stadt die Mietverträge per Sonderkündigungsrecht für alle Gewerbeflächen kündigt.
- Im August 2023 hat die Hausverwaltung des Ihme-Zentrums einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Projekt IZ Hannover (PIZ) gestellt. Grund dafür sind erhebliche Außenstände beim monatlichen Hausgeld.
Aktuelle Nachrichten zum Ihme-Zentrum
Jubiläum 50 Jahre Ihme-Zentrum: Ein Rückblick
Das Ihme-Zentrum in Hannover blickt heute auf 50 Jahre wechselvolle Geschichte zurück. Von visionärer Stadtplanung über Leerstand und Verfall bis hin zu aktuellen Sanierungsplänen und Rechtsstreitigkeiten – ein Rückblick auf Entstehung und Entwicklung dieses polarisierenden Wahrzeichens.
Ihme-Zentrum: „Ich will hier nicht weg!“
Wie lebt es sich in der 1974 fertiggestellten und zunehmend maroden Lindener Großimmobilie? Punkt-Linden war im Gespräch mit dem WEG-Verwalter Torsten Jaskulski und dem langjährigen Wohnungseigentümer Jürgen Oppermann.
Freiluft-Galerie Staffel II am Ihme-Zentrum eröffnet
Das ist wieder einmal eine interessante Nachricht aus der Kunstszene Hannovers. Die 2. Eröffnung der Monaco Galerie Hannover am Ihme-Zentrum in der Spinnereistraße bringt sicher frischen Wind in die lokale Kunstlandschaft. Besonders spannend ist, dass der hannoversche Künstler Uwe Stelter mit einem Ausschnitt seiner Fotoserie „Eine Stadt“ in den Fokus rückt.
Videos vom Ihme Zentrum
mehr: https://www.youtube.com/results?search_query=ihmezentrum und https://vimeo.com/search?q=ihmezentrum
Links
Quellen:
Geschichte: Bärbel Krämer, Jürgen Wessel und Gerd Menge
Bilder aus der Bauphase: Horst Bohne