Der vierte Teil der Geschichten aus der Lindener Geschichte hat etwas länger auf sich warten lassen. Dies aber nicht ohne Grund. Heft Nummer 4 behandelt die Zeit zwischen 1933 und 1945 in Linden.
Es gibt vermutlich keine Phase der deutschen Geschichte, die von Historikern derart intensiv erforscht worden ist, wie die Jahre zwischen 1933 und 1945. Schaut man allerdings nach Linden, drängt sich der Eindruck auf, als sei die Zeit des Nationalsozialismus – zumindest partiell – aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt. Widerstand lautet, von wenigen Ausnahmen abgesehen, das beherrschende Thema der Geschichtsaufarbeitung im Stadtteil – so, als ob der NS-Staat und seine Ideologie in Linden keinerlei Widerhall gefunden hätten, als ob die NS-Diktatur dem Stadtteil von außen gleichsam übergestülpt worden sei.
Tatsache ist, dass die vorliegenden Veröffentlichungen zur NS-Geschichte kaum vertiefende Erkenntnisse zu einer Aufarbeitung der Frage beisteuern können, auf welche Resonanz die NSIdeologie im Stadtteil traf und in welchen Handlungen und Verhaltensweisen der Bevölkerung sich die NS-Herrschaft widerspiegelte – kurz: worin das „braune Linden“ (Arndt) letztlich seinen Ausdruck fand. Das, was zwischen 1933 und 1945 in Linden geschah, bleibt vor diesem Hintergrund seltsam schemenhaft. Ein Dunkel, das aufzuhellen, einen weiter gefassten Weg des Zugangs nahelegt.
Wie der Historiker Detlef Schmiechen- Ackermann 2007 in einem Vortrag im Niedersächsischen Landtag dargelegt hat, ist für den Zeitraum zwischen der Machtübertragung an Adolf Hitler und dem Beginn des Zweiten Weltkrieges in der Gesamttendenz zweifelsfrei eine „wachsende Zustimmung der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Nationalsozialismus“ erkennbar. Gleichzeitig jedoch könne für die Zeit vor 1933 zumindest für einzelne Regionen und Milieus – Schmiechen-Ackermann benennt in diesem Zusammenhang etwa die Arbeiterschaft und die katholisch geprägte Bevölkerung in der niedersächsischen Diaspora – eine ablehnende Haltung gegenüber der NS-Bewegung nachgewiesen werden. Beide „weltanschaulich geprägten Gesinnungsgemeinschaften“, so der Autor, verfügten über tief verwurzelte Milieubindungen, die es ihnen – wenigsten in der Anfangsphase des Regimes – ermöglicht hätten, aktiv Widerstand zu leisten oder sich zumindest gegen die Ideologie des NS-Staates abzuschirmen. Angesichts einer sich zunehmend stabilisierenden Diktatur seien jedoch auch diese Milieus nach und nach anfälliger geworden, sei an den Rändern der jeweiligen Milieukerne eine wachsende Zustimmung mit dem NS-Regime erkennbar geworden.
Bereits in seinem Buch Nationalsozialismus und Arbeitermilieu hatte Schmiechen-Ackermannn nachgewiesen, dass die These von der Immunität der Arbeiterschaft in den Jahren zwischen 1933 und 1945 nicht haltbar ist. Eine in oppositioneller Ablehnung des Nationalsozialismus vereinte Arbeiterschaft, so der Autor, existierte nicht – auch wenn für die industrielle Arbeiterschaft „durchaus vielfältige und im Vergleich mit anderen Bevölkerungsgruppen relativ umfangreiche Formen der alltäglichen Verweigerung bis hin zur handfesten Opposition und zum organisierten Widerstand nachweisbar“ seien.
Die vorliegende Broschüre ist in Teilen der Versuch, die von Schmiechen- Ackermann formulierten Thesen mit Leben zu füllen. Der Versuch, sich auf der Basis des zur Verfügung stehenden Materials der Frage anzunähern, in welchem Ausmaß die Bevölkerung Lindens der Ideologie des Nationalsozialismus erlegen gewesen ist bzw. wie weit sie sich der Vereinnahmung durch die Nationalsozialisten entziehen konnte. Eine dem Thema gerecht werdende intensive wissenschaftliche Forschung – dies vorausgeschickt – kann im Rahmen dieser Broschüre nicht geleistet werden. Was sie leisten kann, ist, das vorliegende Material – Mosaiksteinchen gleich – zu einem groben Bild zusammenzufügen.
Inhalt:
Seite 5 – Seltsam schemenhaft
Das „braune Linden“ – Versuch einer Annäherung
Seite 7 – Permanenter Bürgerkrieg
Die „Eroberung“ des Arbeiterstadtteils Linden durch die Nationalsozialisten
Seite 15 – Einbruch ins Milieu
Linden zwischen Widerstand, Anpassung und aktiver Parteinahme
Seite 23 – Der Ideologie nicht erlegen
Aktiver Widerstand, Nonkonformität und Verweigerung
Seite 29 – Alltag unter dem Hakenkreuz
Die Lindener erleben Gleichschaltung, Indoktrination, Bespitzelung und Denunziation
Seite 39 – Entmenschlichung und Vernichtung
Linden im Angesicht von Verfolgung, Deportation und Zwangsarbeit
Seite 51 – „Dies alles hat es auch in Linden gegeben“
Ein Gespräch mit der Historikerin Janet Freifrau von Stillfried über das Thema Zwangsarbeit
Seite 55 – Dem Ende entgegen
Linden zwischen Bombenkrieg und Neubeginn
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