Die Lindener Kulturinstitution wird 60 Jahre alt
Das Freizeitheim Linden wird am 28. Januar 2021 60 Jahre alt. Das Freizeitheim war das erste dieser Art in Deutschland. Es wirkte baulich und konzeptionell wie ein Raumschiff in den Stadtteil Linden, dem damaligen „Hinterhof Hannovers“, hinein.
Auch wenn es sehr modern war, so gibt es doch eine Vorgeschichte, die bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts reicht. So erzählte Egon Kuhn es 2010 Torsten Bachmann (vgl. auch lindenspiegel. eu und punkt-linden. de). Im Zeitalter der Industrialisierung begann die Arbeiterbewegung sich zu organisieren. Dazu gehörten nicht nur SPD und Gewerkschaften, sondern ebenfalls viele „Vorfeldorganisationen“, so z.B. Vereine, die in der Bildung tätig waren. Oft fehlte es allerdings an geeigneten Räumlichkeiten für die Aktivitäten und Versammlungen. Der Arbeiterbildungsverein Linden konnte etwas Abhilfe schaffen und 1902 an der Gartenallee ein großes Vereinsheim errichten, das später nach den Betreibern der Gastronomie auch „Saalbau Sander“ genannt wurde. 1943 wurde das prächtige Haus bei einem Luftangriff zerstört.
In der Nachkriegszeit wollte der Lindener Sportfunktionär und SPD-Aktivist Fred Grube an die Tradition des Vereinsheims anknüpfen. Mit dem von ihm initiierten Kulturkreis Lindener Vereine und der Lindener Zeitung rührte er kräftig, aber auch durchaus konfliktreich dafür die Werbetrommel. Die konkreten Ziele konnten nicht alle umgesetzt werden, aber die Idee war auf fruchtbaren Boden gefallen. 1959 wurde von der Stadt Hannover der Bau eines Freizeitzentrums auf einem ehemaligen Kleingartengelände der Bennokirche unweit der Fösse beschlossen. Der Kulturdezernent Heinz Lauenroth wollte das Zentrum „Begegnungsstätte im Fössefeld“ nennen, beschlossen wurde aber der Name „Freizeitheim Linden“, schließlich ging es vor allem um die „sinnvolle“ Nutzung der Freizeit für Bildung und kulturelle Zwecke.
Am 28. Januar 1961 wurde der vom Architekten Siegfried Erlhoff geplante Bau in der Windheimstraße eingeweiht. Auf zwei Etagen waren über zwanzig Räume geschaffen worden. Im Kellergeschoss befanden sich vorwiegend Werk- und Kreativräume sowie die Toiletten, im Obergeschoss die Verwaltungsräume, zwei große Säle und kleinere Versammlungs- und Gruppenräume sowie eine kleine Caféteria. Und nicht zu vergessen: die Stadtteilbibliothek. Das Haus sollte für alle Bevölkerungsgruppen und Generationen da sein: für Jung und Alt, aber in getrennten Räumen. Es sollte politisch neutral sein. Das Konzept der Einrichtung war aber trotzdem umstritten: So berichtet sogar DIE ZEIT am 18. Januar 1963 über kritische Stimmen zum Freizeitheim: „Die Gegner, „bürgerliche“ Ratsherren der Stadt, sahen in ihren extremen Befürchtungen einen Kulturpalast östlicher Prägung und eindeutiger ideologischer Ausrichtung entstehen. Gemäßigtere argwöhnten, die „Sozialdemokraten beabsichtigten, eine Art unterschwelliger Parteischule in dem Heim aufzuziehen.“ (aus Gerd Meyer, 1978). Das mag an „Don Camillo und Peppone“ erinnern, aber im durch und durch „roten“ Linden konnte man ja nie wissen“.
Der erste Freizeitheimleiter Karl Sperling kam durchaus passend aus der Jugendarbeit, denn es sollte ja auch Angebote für die jungen Leute geben. So standen bald Tonstudio, Musik- räume und auch multifunktionale Räume im Keller für Tischtennis sowie für Tanzveranstaltungen zur Verfügung. Samstagabends kamen zu den Tanzveranstaltungen 150 bis 200 BesucherInnen (die Männer nur in Anzug und mit Krawatte!). Im Haus galt Rauch- und Alkoholverbot. Das führte dazu, dass in den Pausen vor der Tür geraucht oder in der gegenüberliegenden Kneipe „Krokodil“ schnell ein Bierchen getrunken wurde.
Für den Werkbereich mit den Tonarbeiten, Weben oder Malerei war zeitweise ein Betreuer eingestellt. Zur Überraschung aller kamen aber vor allem die alten LindenerInnen zuhauf ins Freizeitheim, denn hier war in den kalten Jahreszeiten gut geheizt (besser als Zuhause) – und so verbrachten die alten Lindener ButjerInnen hier fast den ganzen Tag mit Klönen, Lesen, Schach- oder Skatspielen. Allein für das Skatspielen benötigte man zeitweilig vier Räume! Die kleine Selbstbedienungs- Caféteria sorgte für günstigen Getränkekonsum. Eine weitere große Gruppe waren mit etwa einem Drittel aller NutzerInnen die Kinder. Insgesamt kamen meistens über 10.000 BesucherInnen monatlich. Das Freizeitheim war schon in den Anfangsjahren ein Erfolgsmodell und fand nicht nur in Hannover viele Nachahmer.
Sperling musste nach einigen Jahren aus gesundheitlichen Gründen im Freizeitheim aufhören. Sein Nachfolger wurde 1965 der 38-jährige gebürtige Osnabrücker Egon Kuhn. Er kam zwar auch aus der Jugendarbeit, kannte sich aber in Hannover und Linden überhaupt nicht aus. Das sollte sich schnell ändern! Ebenso das Konzept des Hauses. Es sollte alsbald die veränderte gesellschaftliche Realität der wilden 1960er und 1970er Jahre widerspiegeln. Um die durchaus konfliktreiche Jugendarbeit besser in den Griff zu bekommen, wurde die Offene- Tür-Arbeit eingeführt, im Keller der Jugendbereich ausgebaut und ein „Centre der Jugend“ eingerichtet. Um die Altenarbeit zu verbessern, wurde ein Ältestenrat eingerichtet, der auch aktiv Angebote machte. Um politische Veranstaltungen durchzuführen (das durfte das Freizeitheim selber eigentlich nicht), gründete die DGB-Jugend einen politischen Club. Durch die Auftritte fast aller bekannten linken Liedermacher (z.B. Degenhard, Wader, Debus) wurde das Freizeitheim als Kulturzentrum überregional bekannt. Es wurde auch ein Treffpunkt vieler Gruppen wie etwa des SDS. Zahlreiche gesellschaftskritische Politikwissenschaftler (so Abendroth, Deppe, Negt, Seifert) traten hier bei Veranstaltungen des DGB oder Arbeit und Leben (und später der Otto-Brenner-Akademie) auf und wurden Freunde des Hauses. Die enge Verbundenheit zu den Gewerkschaften zeigte sich auch daran, dass zum 1. Mai der Lindener Ausmarsch natürlich von hier aus startete, nachdem (oder sofern) man sich vom Tanz in den Mai – natürlich auch hier – erholt hatte. 1968 konnte man – nach sieben Jahren! – schon den einmillionsten Besucher begrüßen. In die Räume des Centre der Jugend, das 1973 in die Posthornstraße umzog, quartierte sich das bald ebenfalls recht erfolgreiche Kindertheater Rammbaff ein. Politisch angesagt war in dieser Zeit Beteiligung und Mitwirkung der Menschen. So wurde 1974 der Ältestenrat zu einem Heimrat als Vertretung der Vereine und Gruppen verändert. Er wirkte am Programm mit und wurde selber mit Veranstaltungen tätig. Viele Jahre war er ein mächtiges Mitwirkungsgremium im Freizeitheim. Nach dem Abriss der Fannystraße, in der bis 1965 von Anni und Fritze Röttger die legendären Fannystraßen-Kinderschützenfeste durchgeführt wurden, griff Egon Kuhn diese Idee auf und führte ab 1978 das „Lindener Butjerfest“ durch. Es war bis Mitte der 1990er Jahre das zentrale Stadtteilfest und eben eine Veranstaltung, die es so nur in Linden gab. Egon Kuhn hatte nicht nur in Linden Fuß gefasst (etwa durch Klönen bei einer „Tasse Bier“ im Krokodil mit den alten LindenerInnen), sondern sich auch bundesweit sehr gut vernetzt. Das Freizeitheim entwickelte sich immer mehr zu einem soziokulturellen Zentrum. Im Rahmen der Stadtteilkulturarbeit begann man auch aufgrund der zahlreichen guten Kontakte mit der Aufarbeitung der Geschichte der Lindener Arbeiterbewegung und des Alltagslebens. Ob Fanny- oder Kochstraße, Arbeitersängerbewegung oder Weltliche Schule: viele alte LindenerInnen erzählten in zahlreichen Projekten ihre Lebensgeschichte. Dazu gehörte auch die antifaschistische Arbeit mit Stadtrundgängen und -fahrten sowie die Aufarbeitung der Geschichte der sozialdemokratischen Widerstandsgruppe „Sozialistische Front“, die, vom Hannoveraner Werner Blumenberg initiiert, ihren Schwerpunkt in Linden hatte. Zu all den Themen wurden ab 1983 bundesweit beachtete Broschüren erstellt. Viele der Zeitzeug- Innen gaben nicht nur Interviews, sondern stellten auch Materialien oder Fotos zur Verfügung. Dies führte dann 1987 zur Gründung des Stadtteilarchivs im Keller des Freizeitheims. Zuvor, 1986, zum 25- jährigen Jubiläum, hatte das Freizeitheim von der Kulturpolitischen Gesellschaft die „Auszeichnung für soziale Kulturarbeit“ erhalten.
Nachfolgerin von Egon Kuhn wurde 1992 Ruth Schwake, die seit 1987 als Mitarbeiterin an Projekten zu Blumenberg und dem Naturheilverein Prießnitz tätig war. Sie setzte den kulturpolitischen Kurs von Egon Kuhn fort. 1991 war als erstes größeres privates Kulturzentrum der Verein FAUST entstanden. Auch hier wurde eng zusammengearbeitet wie etwa bei der Würdigung des Widerstandskämpfers Wilhelm Bluhm oder beim Projekt „Galerie im Kesselhaus“. Ohnehin stand jetzt verstärktes Wirken im Stadtteil auf der Tagesordnung. Man legte viel Wert auf die Zusammenarbeit mit den Schulen und entwickelte als Projekt z.B. eine Stadtteilrallye für Kinder. Mit der Einführung der Kulturkoordination (für Stadtregionen zuständige übergeordnete Kulturarbeit) beendete Ruth Schwake die Arbeit im Freizeitheim. Erste Koordinatorin – und zeitweilig kommissarische Geschäftsführerin des Freizeitheims – wurde Elke Oberheide, die zuvor ebenfalls Mitarbeiterin gewesen war. 1995 wurde Fred Meier dann Geschäftsführer. Den Begriff Freizeitheimleiter gab es während der Zeit der Koordination nicht mehr. Nach der kurzen Phase mit Elke Oberheide wurde Bärbel Kuhlmey Koordinatorin. Zu ihren Tätigkeiten gehörten das Fluxus-Projekt oder der Ausbau des Kinderzirkus CircO.
Fred Meier setzte die Öffnung in den Stadtteil fort. In dieser Zeit wurden weitere Stadtteilkulturorte im Stadtbezirk eingerichtet, so der Treffpunkt Kastanienhof in der Schule in Limmer und das städtische Kulturbüro Linden-Süd im Treffpunkt Allerweg. Mit dem Jazz-Frühschoppen im Von-Alten-Garten oder der Sternschnuppennacht auf dem Wasserhochbehälter wurden Kulturangebote vom Freizeitheim auch außerhalb des Freizeitheims angeboten. Das Freizeitheim wurde um die Jahrtausendwende aufwändig renoviert und umgebaut. So wurden im Eingangsbereich die Garderobe und die Caféteria abgeschafft. Es gab nun eine eigenständige Gastronomie mit großem Raum (bekannt für seine Ü-30-Parties oder seine Übertragungen von Fußballspielen) sowie einen Biergarten, der allerdings etwas versteckt hinter dem Freizeitheim liegt. Hier präsentierte Fred Meier eine Zeitlang erfolgreich das Freilichtkino. Fred Meiers Zeit im Freizeitheim endete 2005. Er ist inzwischen überregional bekannt geworden als Schlagersänger Freddy Caruso sowie neuerdings auch als singender Wattwagenfahrer in Cuxhaven. Seine Nachfolgerin wurde Ulrike Richter, die bis 2010 als Geschäftsführerin arbeitete. Sie baute vor allem das CircO- Netzwerk für Zirkuskünste aus. Zusammen mit der Musikschule entstand nicht nur ein Konzept für ein Zirkusorchester, sondern auch die Möglichkeit, dass kleine KünstlerInnen auf großer Bühne auftreten konnten. Beim großen Sommerfest präsentierten sich alle Gruppen des Hauses. Aufwändige Brandschutzmaßnahmen mit neuen Außentreppen veränderten dann auch das Gesicht der Fassade. Das Kulturbüro hatte sich zu einem wichtigen Treffpunkt für Nachbarschaftsarbeit, Bildung und Integration in Linden-Süd entwickelt.
In die kurze Zeit mit Matthias Bamberg als Nachfolger von Ulrike Richter fiel nach jahrelanger Diskussion 2013 die vom Stadtrat besiegelte Schließung der Stadtteilbibliothek. Die noch immer meist leerstehenden Räume können nur gelegentlich und eher provisorisch genutzt werden.
2014 fing Silke van Laak als Leiterin des Freizeitheims an. Seit Jahren wird – mal mehr oder weniger intensiv oder konstruktiv – über die bauliche Zukunft des in die Jahre gekommenen Freizeitheims diskutiert. Gerade hat der Bezirksrat Linden- Limmer einen Vorschlag der Linken als Änderungswunsch zum städtischen Haushalt aufgenommen und einstimmig 250.000 Euro für Planungskosten zur Frage Sanierung oder Neubau des Freizeitheims gefordert.
Vielen Dank an Susanne Böhmer vom Stadtteilarchiv sowie allen Beteiligten für die Informationen. Dieser Artikel ist unserem vor zwei Jahren verstorbenen Freund Egon Kuhn gewidmet, der am 20. Januar dieses Jahres 94 Jahre alt geworden wäre.