Barrierefrei? Nicht für alle Menschen in Linden-Limmer

Klaus Kuhn
Klaus Kuhn
An einem Dienstagmorgen machte ich mich mit dem Fahrrad auf den Weg in Richtung Lindener Hafen. Mein Ziel ist ein Besuch bei Klaus Kuhn, einem Leser, der sich vor einigen Wochen bei uns gemeldet hat. Bereits auf dem Weg fragte ich mich, wie sich ein sehbehinderter Mensch hier im dichten Stadtverkehr sicher bewegen kann. Die Wohnung der Familie Kuhn liegt direkt an einer viel befahrenen Kreuzung in der Nähe der Stadtbahnhaltestelle „Am Lindener Hafen“. Der Straßenlärm ist allgegenwärtig. Frau Kuhn empfängt mich herzlich und führt mich durch die Wohnung in das Büro ihres Mannes. Hier lebt ein Mann, der sich trotz seiner Einschränkung nicht zurückzieht, sondern aktiv handelt.

Im Verlauf unseres Gesprächs wird mir klar, wie viel Energie er darauf verwendet, Barrieren in seinem Umfeld sichtbar zu machen und möglichst abzubauen, sei es im Straßenverkehr oder im öffentlichen Nahverkehr. In Deutschland leben etwa 440.645 Menschen mit einer Sehbehinderung, davon sind 46.380 hochgradig sehbehindert und 71.260 blind.

Die Entwicklung hin zu mehr Barrierefreiheit im öffentlichen Raum schreitet zwar voran, berücksichtigt jedoch nicht alle gleichermaßen. Laut Kuhn stoßen sehbehinderte Menschen trotz baulicher Verbesserungen immer wieder auf Hindernisse, die bestehen bleiben oder sogar neu entstehen. Ein Beispiel dafür sind Hochbahnsteige. Zwar erleichtern sie mobilitätseingeschränkten Fahrgästen den Einstieg in die Straßenbahn, doch auf engem Straßenraum nehmen sie oft so viel Platz ein, dass kaum Raum für Leitsysteme oder sichere Gehwege für sehbehinderte Menschen bleibt.

Zahnärzte am Küchengarten
Zahnärzte am Küchengarten
Limmerstraße 15
30451 Hannover
Linden-Nord
Kreuzung Davenstedter Straße / Bauweg
Kreuzung Davenstedter Straße / Bauweg
Auch an vielen Ampeln fehlen weiterhin akustische Signale. An der stark befahrenen Kreuzung Davenstedter Straße Ecke Bauweg sind beispielsweise zwei von vier Übergängen für Menschen mit einer Sehbehinderung nicht nutzbar, da die Ampelanlagen über keine hörbaren Signalgeber verfügen. Wer auf akustische Orientierung angewiesen ist, kann die Straße nicht überqueren. Ein weiteres Problem an dieser Kreuzung ist, dass die Bordsteine beim Ampelübergang über lange Strecken auf null abgesenkt sind. Das stellt für blinde Menschen ein erhebliches Risiko dar, da ohne fühlbaren Rand kaum noch erkennbar ist, ob sie sich auf dem Gehweg oder bereits auf der Fahrbahn befinden. Die klare Trennung zwischen sicherem und gefährlichem Bereich geht also verloren. Was für Rollstuhlnutzer*innen und Fahrradfahrer*innen grundsätzlich sinnvoll ist, sollte nur in einem begrenzten Bereich erfolgen, beispielsweise dort, wo sich tatsächlich ein Überweg befindet. In Kuhns Alltag hatte das bereits konkrete Folgen. Seine Frau musste ihn bereits mehrfach zurück auf den Gehweg holen, weil er unbemerkt auf die Straße geraten war.

Davenstedter Straße Abzweigung Südfeldstraße
Davenstedter Straße Abzweigung Südfeldstraße
Hinzu kommen Situationen, in denen selbst sehende Fußgänger*innen Schwierigkeiten haben, sich sicher zu bewegen. Kuhn berichtet beispielsweise von der Bushaltestelle „Südfeldstraße“, an der die Davenstedter Straße in einer scharfen Kurve verläuft. Die Einsicht auf die Fahrbahn ist dort nahezu null, während Autos und Lkws mit hoher Geschwindigkeit vorbeifahren. Für sehbehinderte Menschen ist eine Straßenquerung an dieser Stelle faktisch unmöglich und lebensgefährlich. Doch auch für Menschen ohne Einschränkungen ist die Situation kritisch. Eine einfache Fußgängerampel könnte die Lage spürbar entschärfen, ist dort aber bislang nicht vorhanden.

Kuhn schätzt die Offenheit und Freundlichkeit vieler Menschen, besonders, wenn sie ihn direkt ansprechen und ihm Hilfe anbieten. Für ihn ist der respektvolle Umgang auf Augenhöhe ein wichtiger Bestandteil gesellschaftlicher Teilhabe. Doch nicht jede gut gemeinte Geste ist auch hilfreich. Er berichtet von Situationen, in denen Mitmenschen ihn wortlos am Arm packten und in eine Straßenbahn schoben, weil sie annahmen, er wolle mitfahren. Solche Situationen sind für ihn verständlicherweise äußerst übergriffig. Er ruft dazu auf, Hilfe stets respektvoll und nach Rücksprache anzubieten.

Als ich mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, wurde mir noch einmal mehr bewusst, wie viele Selbstverständlichkeiten für mich als Sehenden ganz normal sind, die für Menschen mit einer Sehbehinderung jedoch große Herausforderungen darstellen. Es braucht am Ende mehr Bewusstsein, mehr Mitdenken und manchmal einfach die Bereitschaft, hinzuschauen und nachzufragen.

Bildnachweis: Finn Sünkler

1 Gedanke zu „Barrierefrei? Nicht für alle Menschen in Linden-Limmer“

  1. Mich wundert es nicht. Selbst in Kirchrode, wo noch mehr blinde Menschen leben wird kaum Rücksicht auf sie genommen.
    Ein ganz großes Problem sind auch Scooter die einfach irgendwo rumstehen oder schmale Gehwege, die auch von Radfahrern genutzt werden, weil es ihnen auf der Straße zu unsicher ist oder weil Eltern ihre kleinen Kinder auf dem Rad begleiten.
    Außengastro ist auch ein Problem für blinde und mobilitätseingeschränkte Menschen.

    Aber wie man auch an den geplanten Hochbahnsteigen in der Limmerstraße sieht, stehen die eigenen Bedürfnisse über deren, die tatsächlich alltäglich benachteiligt sind.

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1 Gedanke zu „Barrierefrei? Nicht für alle Menschen in Linden-Limmer“

  1. Mich wundert es nicht. Selbst in Kirchrode, wo noch mehr blinde Menschen leben wird kaum Rücksicht auf sie genommen.
    Ein ganz großes Problem sind auch Scooter die einfach irgendwo rumstehen oder schmale Gehwege, die auch von Radfahrern genutzt werden, weil es ihnen auf der Straße zu unsicher ist oder weil Eltern ihre kleinen Kinder auf dem Rad begleiten.
    Außengastro ist auch ein Problem für blinde und mobilitätseingeschränkte Menschen.

    Aber wie man auch an den geplanten Hochbahnsteigen in der Limmerstraße sieht, stehen die eigenen Bedürfnisse über deren, die tatsächlich alltäglich benachteiligt sind.

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