Schallplattenpresswerk „Favorite Record“ in Linden-Nord

Favorite Record Double face
Favorite Record Double face – Poster

Der Elektroingenieur Emil Berliner, geboren am Dienstag, 20. Mai 1851, war ein Hannoveraner – und er hat die Schallplatte und das dazugehörige Grammophon am Ende des vorletzten Jahrhunderts erfunden und patentieren lassen. Das ist weitestgehend und nicht nur unter Plattenfreunden bekannt. Diese Schellackplatten konnten, im Gegensatz zu den vorher gebräuchlichen Phonographenwalzen, preisgünstig und in Massen hergestellt werden.

Nachdem er diese und auch weitere weltberühmte Erfindungen ersann, hat er seinem Bruder Joseph die Eröffnung eines Unternehmens in Hannover am 6. Dezember 1898 möglich gemacht: die „Deutsche-Grammophon-Gesellschaft“.

Favorite Record entsteht

Favorite Record - Hannover-Linden Leinaustraße
Favorite Record – Hannover-Linden Leinaustraße 27

Die beiden Techniker Otto Birkhahn und Otto Multhaupt hatten bei dieser Firma in Hannover gelernt und gearbeitet, aber im August 1904 in Berlin die Firma Favorite Record GmbH gegründet. Diese siedelte Anfang 1905 nach Hannover um, wahrscheinlich um qualifizierte Fachkräfte der „Deutsche-Grammophon-Gesellschaft“ abwerben zu können. In der Leinaustraße 27 in Linden-Nord wurde ein neues Fabrikgebäude errichtet.

Schon in Berlin hatten sie für viele Musikfreunde orientalischer Musik produziert. In Linden bei Hannover wurden dann zwischen 1904 und 1913 tatsächlich mehr als 30.000 Musiktitel gepresst, auch hier vorwiegend als Export für den Orient.

Am 9. Mai 1905 wurden die ersten Titel in türkischer Sprache aufgezeichnet. Favorite war in der Lage, mehr als 600 verschiedene Platten mit Musik aus dem Nahen Osten anzubieten. Dabei waren neben 200 ägyptischen Titeln auch 37 griechische und 300 türkische Lieder im Programm – echte Exportschlager.

Der Anfang vom Ende

Die Lindener Favorite baute das Geschäft mit der Herstellung von Schallplatten mit türkischer und arabischer Musik aus. Bei der „Grammophone Company“ in den USA wurde schon seit 1893 in dieser Export-Branche gearbeitet, die Lindener überholten sie. Es ging bei ihnen weiter voran mit persischer, armenischer, griechischer, jüdischer, albanischer, kurdischer, hinduistischer und indischer Musik. Auch Titel der Sinti und Roma waren dabei.

Nachdem Birkhahn 1909 ein lukratives Jobangebot der „The Grammophone & Co.“ in Berlin ablehnte, wurde das Unternehmen, das 1912 die Favorite Record AG wurde, 1913 an den damals führenden schwedischen Grammophon- und Schallplattenproduzenten „Carl Lindström AG“ verkauft. Carl Elof Lindström schloss das Lindener Werk kurz nach der Übernahme und verlagerte die Produktion nach Berlin. Im Herbst 1926 sind die letzten „Favoriten“ gepresst worden – eine Marke war am Ende.

Randnotiz vom Autor:

Emil Berliner starb am Samstag dem 3. August 1929 mit 78 Jahren und hat wahrscheinlich/hoffentlich die ganze Geschichte der Favorite-Record mitbekommen. Er behielt Recht mit seinem am 16. Mai 1888 vor dem Gremium des Franklin-Instituts gehaltenen Ausspruch und hat damals schon die Wichtigkeit der Künstler sowie der Musik erkannt:

»Man wird (…) von meinen Platten so viele Kopien machen können, wie man will, und prominente Sänger, Sprecher und Schauspieler werden durch den Verkauf ihrer „Phonoautogramme“ zu einem Tantieme-Einkommen gelangen können.«

Wer an weiteren Informationen und auch Videos zum Thema Schelllackplatten (Titel, Label, Labeletiketten, Künstler, Herstellung, Discographien usw.), Grammophonen/Sprechapparaten (u.a. Funktionsweise, verschiedene Typen), Tonaufzeichnungen (Technik, Studio, Trichter, Mikrofone, Walzen etc.) aus der guten alten Zeit interessiert ist, findet diese auf:

www.favorite-record.com
www.grammophon-platten.de
www.78record.de

Danksagungen an folgende beteiligten Einrichtungen:

Favorite Record, Martin Wolfstein
Bayerische Staatsbibliothek, Marco Becker, Daniel Sölch
Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Sabine Tolksdorf
78record, Michael Schmiedecke

Der Lindener Martin C. Wolfstein/Favorite-Record hat in seiner Sammlung mehr Schellackplatten der Favorite Record als die Deutsche National Bibliothek in ihrem digitalen Fundus. Dieses von der UNESCO ausgerufen Weltkulturgut gilt es zu erhalten. Direkte Spenden werden das Herz von Martin erfreuen.

Hier noch ein originaler Text aus:
Phonographische Zeitschrift Fachblatt für die gesamte Musik- u. Sprechmaschinen-Industrie ; Organ d. Reichsverbandes des Deutschen Sprechmaschinen- und Schallplattenhandels, Bd.: 9. 1908, Nr. 27 – 53, Berlin 1908.
Es wurde hier sehr präzise und für heutige Zeiten mit sehr aktuellem Bezug beschrieben, welche Produktionsschritte zur damaligen Zeit tatsächlich durchgeführt wurden.

Die Fabrik der Favorite-Gesellschaft.

Eine der besteingerichteten deutschen Schallplattenfabriken ist ohne Frage die der Favorite-Gesellschaft in Linden bei Hannover. Ein anschauliches Bild der vielseitigen Betriebe, welche erforderlich sind, um eine scheinbar so einfache Sache wie eine Schallplatte herzustellen, geben unsere (…) Abbildungen. Die Fabrik hat sich aus kleinen Anfängen heraus immer grösser entwickelt, und jetzt sind die Gebäude so sehr, bis auf den letzten Quadratmeter Raum, ausgenutzt, dass eine weitere Vergrösserung unbedingt einen Anbau erforderlich machen würde.

Wie die Gesamtansicht zeigt, ist die Fabrik ganz im freien Felde gelegen, da wo die letzten Häuser der Grossstadt stehen. Die Lage ist malerisch am Ufer der Leine, an dessen jenseitigem Ufer der berühmte Herrenhäuser-Park beginnt.

Ausser der schwarzen Plattenmasse, die hier nicht zusammengesetzt wird, umfasst die Fabrikation alle Stadien der Entwicklung einer Schallplatte, anfangend mit der Aufnahme vor dem Trichter bis zum Verpacken der fertigen Platten.

Wenn wir den Entwicklungsgang verfolgen, so finden wir folgende Arbeiten hauptsächlich hervortreten. Giessen der Wachsplatte, Drehen und Schleifen der Wachsplatten, Aufnehmen der phonographischen Schrift, Graphitieren der Wachsplatte. So kommt sie in das galvanoplastische Kupferbad, wo sie unter Beobachtung ganz besonderer Sorgfalt etwa 12 Stunden bleibt, bis der Kupferniederschlag eine genügend dicke Platte geworden ist. Nach diesem ersten „Shell“ wird erst eine Probepressung gemacht, und wenn diese die Prüfung bestanden, werden (positive) Plattenmatrizen und danach wieder (negative) Pressmatrizen hergestellt. Diese werden vernickelt und poliert und dann auf eine kräftige Metallunterlage gelötet, eine Arbeit, die eine besondere Kunstfertigkeit verlangt. Das Pressen geschieht durch etwa 40 hydraulische Pressen, die durch eine besondere Heissdampfleitung warm gehalten werden, während die Masse auf ebenfalls geheizten eisernen Tischen warm gehalten wird. Die Etiketten werden bei dieser Arbeit gleich mit aufgepresst. Jetzt werden noch die Ränder abgedreht und poliert, und nun gelangen die fertigen Platten entweder in das Lager oder direkt zur Verpackung.

Die Fabrikationseinrichtungen der Favorite sind ganz besonders bemerkenswert wegen der sehr präzisen Organisation, die eine absolute Kontrolle sowohl der fabrizierten Quantitäten als auch der Qualität der Erzeugnisse gewährleistet. So sind z.B. alle Etiketten durch besondere gelochte Zeichen numeriert, so dass keine Platte die Fabrik verlassen kann, welche nicht in den Büchern verzeichnet ist.

Bildnachweis: Grammophon-Platten, SB Berlin, Sign. Os3662, 78record