Leben im Ihmezentrum Teil VIII – U. Lorenz & S. Loeffler

Marktkirche
Marktkirche

Die einen sind entgeistert, die anderen total begeistert

Für Uta Lorenz war das Ihmezentrum eine Liebe auf den zweiten Blick. Als sie an ihrem ersten Tag in Hannover mit dem Fahrrad im Regen am Gebäudekomplex vorbei fuhr, dachte sie: „Meine Güte, was für ein trostloser Klotz. Gut, dass ich nur vier Wochen hier sein muss.“ Nach kurzer Zeit fand sie den „Klotz“ allerdings ziemlich super und jetzt bewohnt sie hier sogar zusammen mit ihrem Freund Sven Loeffler seit fast drei Jahren ein Apartment in guter Lage und super Preis, wie sie finden. Ihr Freund verbindet mit dem Ihmezentrum Kindheitserinnerungen, wo er häufig mit seiner Oma im Allkauf einkaufen war und für das Tragen der Taschen öfter mal eine kleine Belohnung bekam. Später zu seiner Abi-Zeit verbrachte er sehr viele Freistunden im Saturn am CD-Spieler.

Wenn Uta Lorenz und Sven Loeffler heute im Freundes- und Bekanntenkreis erzählen, dass sie im Ihmezentrum wohnen, hören sie immer wieder: „Was? Da wohnt ihr?“ Die einen sind entgeistert, weil sie sich nicht vorstellen können, dass man hier wohnen kann und die anderen sind total begeistert. Uta und Sven schätzen vor allem die Vielfalt bei den BewohnerInnen. „Hier wohnen von RentnerInnen über Familien bis zu Studierenden einfach alle gut zusammen.“ Der Kontakt z.B. im Fahrstuhl sei, obwohl nur sporadisch, immer sehr nett und höflich. Man nimmt gegenseitig Pakete an und erkennt sich auch außerhalb des Ihmezentrums wieder. Ihr Lieblingsblick geht auf der Ostseite ihrer Wohnung aus dem Wohnzimmerfenster oder vom Balkon auf die Stadt mit der Marktkirche und den anderen Türmen, dem Waterloo und dem Anzeigerhochhaus. „Dort geht die Sonne auf. Das ist jeden Morgen großartig.“, schwärmen sie.

Wünschen würden sie sich allerdings eine Belebung durch Gewerbe, Kunst und Kultur. Sie glauben an das kulturelle Potenzial des Ihmezentrums und fänden es gut, wenn da mehr passieren würde oder mehr möglich wäre. Das einzige, was Sven wirklich stört sind die Tauben, die alles zukoten. Uta findet den Durchgang zur Blumenauer Straße schwierig. „Der ist einfach dunkel, stinkig und voller Taubendreck.“ Aber in den Zeiten, da man wegen der Pandemie in seinen eigenen vier Wänden bleiben soll, können sie wenigstens die tolle Aussicht genießen. Ihnen fällt ein Vergleich ein: Unser Europa und das Ihmezentrum haben einen alten, etwas maroden Unterbau. In beiden arbeiten viele Parteien mit den verschiedensten Interessen zusammen, die das eigentlich gar nicht wollen. Und alle zusammen müssen ein „Schiff“ steuern, obwohl die Zielrichtung unterschiedlich ist. In beiden müssen konservative und fortschrittliche Kräfte sich einigen: hält man unliebsame, vermeintliche „Störer“ draußen oder öffnet man die Tore im Sinne von Toleranz und Verständnis füreinander. „Zukunftswerkstatt Ihme-Zentrum“ übt Kritik an Stadt und Investor Lars Windhorst: Ist das alles? Lieblingsblick!

Das Interview wurde wegen der Ausgangsbeschränkung per E-Mail geführt von Inka Grund (Mitglied des Think Tank „The beauty of failure“ für die Bewerbung Hannovers zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025).

Alle Beiträge aus der Reihe „Leben im Ihmezentrum“:

Teil 1 / Teil 2 / Teil 3 / Teil 4 / Teil 5 / Teil 6 / Teil 7

Lindenspiegel 07-2020 – Inka Grund

Bildnachweis: Lindenspiegel - Foto Sven Loeffler