Endlich – werden die Anliegenden und Geschäftstreibenden in der Limmerstraße nach der Eröffnung des neuen Hochbahnsteigs am Freizeitheim sagen. Vorbei sind die erheblichen Beeinträchtigungen der Geschäfte, der Lärm und die Umsatzeinbußen, weil die Geschäftslokale kaum mehr erreichbar waren. Aber ist dieser gewaltige Aufwand für den Hochbahnsteig wirklich ein Grund zum Feiern?
Kostenvorteile der Hochflurtechnik wurden offenbar schöngerechnet
Grundlage für die Entscheidung, die Stadtbahnlinie 10 ebenfalls mit den 70er-Jahre stammenden Hochflurfahrzeugen auszustatten, war ein Gutachten aus 2010. Das stellte die Hochflurtechnik der modernen Niederflurtechnik gegenüber, die in fast allen Großstädten inzwischen Standard ist. Bei der Niederflurtechnik wären Baubeeinträchtigungen und Aufwand viel geringer, weil Haltestellen weitgehend ohne Leitungsverlegungen auskommen. Ergebnis des Gutachtens war ein Kostenvorteil in Höhe von 18 Millionen zugunsten der Hochflurtechnik, weil betriebstechnische Einsparungen bei der ÜSTRA stark ins Gewicht fielen. Deshalb entschieden sich die kommunalpolitischen Gremien für die Hochflurtechnik. Für die Vergleichsberechnung wurden die Kosten eines Hochbahnsteigs mit 4,5 Millionen € angegeben. Der Hochbahnsteig in der Limmerstraße hat nach Angaben der INFRA jetzt 11,5 Millionen gekostet. In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 3. April 2024 versucht der Prokurist der INFRA, die Kostensteigerungen hinter den allgemein üblichen Kostensteigerungen zu verstecken. Um diesen Effekt in diesem Artikel auszuschließen, werden hier ausschließlich Baukosten genannt, die sich auf den Baupreisindex des Statistischen Bundesamtes für das letzte Quartal 2023 beziehen.
Die Baukosten für den Hochbahnsteig sind also bereinigt um stolze 255 % gestiegen. Noch drastischer weichen die bereinigten Zahlen des Gutachtens von 2010 von der jetzt gebauten Wirklichkeit bei den Leitungsverlegungskosten für die Hochbahnsteige ab. Diese wurden im Gutachten mit 435.000 EUR angegeben. Gegenüber der HAZ erklärte INFRA-Prokurist Vey: „Ohne Leitungsbau lägen die Kosten für einen Hochbahnsteig und 300 Meter Gleise bei rund 2 Millionen Euro.“ Bei Gesamtkosten von 11,5 Millionen ergeben sich also 9,5 Millionen für die Leitungsverlegung. Die Leitungsverlegung hat also mehr als 20-mal so viel gekostet, wie dies für das Gutachten zugrunde gelegt wurde. Da fällt es schwer zu glauben, dass die städtischen Verkehrsbetriebe für das Gutachten nicht ausgesprochen geschönte Kostenangaben für Hochbahnsteige und Leitungsverlegung eingereicht haben. Aus den im Gutachten prognostizierten 18 Millionen geringeren Kosten für die Hochflurtechnik werden mit den jetzt vorliegenden Erfahrungswerten Mehrkosten von ca. 70 Millionen der Hochflurtechnik gegenüber der Niederflurtechnik. Es drängt sich der Verdacht auf, dass ausgerechnet kommunale Verkehrsbetriebe mit manipulierten Kostenangaben falsche, teure Fehlentscheidungen von Kommune und Region gesteuert haben. Dieser Verdacht sollte Kommunalaufsicht und Landesrechnungshof auf den Plan rufen.
Da die öffentlichen Mittel für die Mobilitätswende nicht vom Himmel fallen und begrenzt sind, haben diese gewaltigen Kostensteigerungen für den Stadtteil ganz praktische Nachteile: Am Küchengarten trennt ein desaströses Verkehrskonzept aus den 70er-Jahren mit Straßenquerschnitten von Autobahnen das kriselnde Ihme-Zentrum von den belebten Stadtteilen drumherum. Drei Verkehrsebenen wurde auf eine komprimiert – zulasten der zahllosen Zufußgehenden und Radfahrenden auf dem Küchengarten, die 11 Ampeltakte abwarten müssen, um die Fössestraße zu überqueren. Auch betroffen sind die Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs, weil deren Haltestellen weitläufig um den Küchengarten verteilt sind. Umstiege erfordern die Überquerung der zahlreichen Abbiegespuren des privaten Verkehrs mit langen Wartezeiten an den Ampeln. Die Zukunftswerkstatt Ihme-Zentrum hat zusammen mit dem Verkehrsplanungsbüro PGV vor mehreren Jahren den Vorentwurf für ein zeitgemäßes Verkehrskonzept für den Küchengarten vorgelegt. Die Politik hat vor drei Jahren beschlossen, dass dieses Konzept Grundlage für die weiteren Planungen sein soll. Bisher hat die Stadtverwaltung allerdings noch nicht einmal Ergebnisse einer aktualisierten Verkehrszählung vorgelegt. Die häufigen Nachfragen des Bezirksrates haben ergeben, dass der Grund für die schleppende Bearbeitung fehlende Mittel in der mittelfristigen Finanzplanung sind. Da fehlen eben genau die 7 Millionen, die für jeden Hochbahnsteig mehr als geplant ausgegeben werden.
Mobilitätswende mit einem falschen Verkehrssystem?
Demnächst sollen die nächsten zwei Hochbahnsteige in der Limmerstraße gebaut werden. Diese werden auch für einen langen Zeitraum mit drastischen Einschränkungen für den Verkehr und das Geschäftsleben errichtet werden. Auch die werden gesamt 14 Millionen mehr kosten als geplant. Da für die Hochbahnsteige auch die Bushaltestellen verlegt werden müssen, wird der bisher starke Fahrradverkehr in der Limmerstraße durch die Einengung des Straßenprofils neben den zahlreichen ÖPNV-Haltestellen zum Erliegen kommen wird. Eine zeitgemäße Verkehrsplanung im Sinne der Mobilitätswende, die Radfahrende und Zufußgehende berücksichtigt, ist nicht finanzierbar, weil die städtischen Verkehrsbetriebe die Verkehrsplanung allein an ihren Interessen ausrichten und alle Ressourcen für die Mobilitätswende mit einem 70er-Jahre Verkehrssystem verbauen dürfen. Die Mobilitätsleitstelle beim OB-Büro könnte die Richtlinienkompetenz der Infra stören und wird eilig abgeschafft. Im Stadtteil muss auch jetzt noch die Frage gestellt werden, ob es nicht günstiger ist, in den gebauten Hochbahnsteigen die Gleiskörper so anzuheben, dass Niederflurfahrzeuge angeschafft werden können und die 7 Millionen Mehrkosten für jeden, der nächsten 6-8 Bahnsteige eingespart werden können.