Teil 2 der Serie: Link zum 1. Teil
Linden – von einer selbstständigen Stadt zu einem hannoverschen Stadtteil
Linden hatte sich in der Folgezeit auch stark verändert. Das Dorf wurde seit Mitte des 19. Jahrhundert von der Industrialisierung regelrecht überrollt. Innerhalb kurzer Zeit wurden riesige Fabriken angesiedelt und mussten die Massen der benötigten Arbeitskräfte wohnungsmäßig untergebracht werden. Die Gemeinde hatte jedoch kein Geld und keine angemessene Verwaltung. Dafür die Fabriken mit ihren Emissionen und die sozialen Probleme.
Um dem abzuhelfen, stellte das Dorf Linden 1865 einen Antrag auf Aufnahme in die Stadt Hannover. Linden wurde auch wegen der politischen Veränderungen (1866 endete das Königreich Hannover und wurde Provinz von Preußen) auf spätere Zeit vertröstet. Das war der erste Versuch Lindens gewesen, von Hannover eingemeindet zu werden.
Die Stadt Hannover lehnte in den Jahren 1880 und 1883 in bornierter Weise die Aufnahme jeglicher Verhandlungen über die Eingemeindungsfrage ab.
Nach den Ablehnungen der 1880er Jahre drängte Linden, mit fast 25.000 Einwohner*innen scherzhaft das „größte Dorf Preußens“ genannt, darauf, die dörfliche Verfassung aufzugeben und eine eigene Stadt zu werden, um die vielfältigen Probleme besser bewältigen zu können. 1885 erhielt Linden dann die Stadtrechte und konnte mit einer leistungsfähigen Verwaltung arbeiten. Trotzdem versuchte es Linden in den Jahren 1889, 1895, 1905 und 1907 erneut, scheiterte aber am Widerstand Hannovers.
„In Linden hatte man den drängenden Wunsch, am Reichtum Hannovers teilzuhaben, einem Reichtum, der schließlich zu einem nicht geringen Maße aus der Lindener Industrie resultierte. Hannover schreckte dagegen vor den hohen Kosten zurück, die eine Angleichung der infrastrukturellen Verhältnisse Lindens an den hannoverschen Standard erfordert hätte, und man wollte in Hannover den vorhandenen Reichtum zum Ausbau und zur Verschönerung der eigenen Stadt verwenden.“ (Walter Buschmann, 1981)
Hermann Lodemann, der Lindener Bürger- bzw. Oberbürgermeister von 1901 bis 1920, beklagte sich, dass Linden viele arme hannoversche Arbeiter aufnehmen musste, die Inhaber und gutbezahlten Angestellten der Lindener Betriebe aber in Hannover wohnten und dort Steuern zahlten. Er zitierte den Osnabrücker Oberbürgermeister: „Hannover ist gar keine Großstadt, sondern nur die gute Stube einer Großstadt.“
Linden begann nun seinerseits, sich die umliegenden Gemeinden einzuverleiben: 1909 wurden Limmer, Davenstedt, Badenstedt und Bornum eingemeindet. Über die Eingemeindung Ricklingens wurde lange mit Hannover gestritten. Denn auch Hannover hatte zuvor ein Auge auf Ricklingen geworfen, vor allem wegen der dortigen Wassergewinnung. Linden wollte Ricklingen eingemeinden und sah dies als Faustpfand gegenüber Hannover an. Linden verzichtete darauf, das Gelände mit dem Wasserwerk zu übernehmen. So kam es 1913 schließlich zur Eingemeindung Ricklingens nach Linden.
Die Einwohnerzahl war schon vor den Eingemeindungen auf 50.000 im Jahr 1900 gestiegen, mit den Eingemeindungen hatte Linden dann 1910 über 73.000 Einwohner und war größer als Hildesheim oder Göttingen. Mit Ricklingen kletterte die Einwohnerzahl auf über 86.000.
Man muss erwähnen, dass Linden eine ausgeprägte Stadt der Arbeiter*innen (ca. 80 Prozent der Bevölkerung) war, sich das aber in der Kaiserzeit mit seinem an das Bürgerrecht gebundenen Kommunalrecht nicht in den politischen Gremien widerspiegelte. So gelangte erst im Jahre 1911 erstmals ein Sozialdemokrat in das 29-köpfige Lindener Bürgervorsteherkollegium.
Kurz nach dem Ende des 1. Weltkriegs begannen erneut Verhandlungen zwischen Hannover und Linden über eine Vereinigung. Durch die Einführung der Demokratie in der Weimarer Republik und den damit einhergehenden demokratischen Wahlen änderten sich eben auch die politischen Verhältnisse in Linden und Hannover. Die Sozialdemokraten, die die Eingemeindung befürworteten, hatten an politischem Einfluss gewonnen. Nach den Neuwahlen Anfang 1919 erreichten die sie in Linden eine Mehrheit. In Hannover hatten zwar die bürgerlichen Parteien noch einmal, wenn auch knapp, die Mehrheit gewonnen. Oberbürgermeister war aber der Sozialdemokrat Robert Leinert. Und der wollte den Zusammenschluss mit Linden.
Als Eingemeindungsgegner trat vor allem – wie zuvor – der ehemalige Stadtdirektor Heinrich Tramm auf und wollte von Linden wenigstens einen finanziellen Ausgleich. Walter Buschmann beschreibt Tramms Forderungen so: „… durch steuerliche Mehrbelastungen sollten die Einwohner Lindens 20 Jahre lang jährlich zusätzlich 500.000 Mark aufbringen. Nur mit einer Summe von zehn Millionen Mark war nach Tramms Ansicht der infrastrukturelle Rückstand Lindens auszugleichen.“ Das hätte Linden natürlich nicht gekonnt.
Die finanzielle Frage spielte in der Eingemeindungsdiskussion eine wichtige Rolle, dahinter war aber immer die Angst spürbar, dass sich mit dem „roten“ Linden auch die hannoverschen Mehrheiten weiter zu Lasten des Bürgertums ändern könnten. So hätten tatsächlich die Sozialdemokraten bei den Bürgervorsteherwahlen vom Frühjahr 1919 mit Linden eine Mehrheit von 51% in einer vereinigten Stadt gehabt.
Bewegung in die von Tramm und Leinert repräsentierten unversöhnlichen Fronten kam erst dadurch, dass Leinert im Falle einer Nichteinigung sogar mit dem Rücktritt als Oberbürgermeister drohte. Um diese Situation zu vermeiden, näherten sich einige bürgerliche Mandatsträger, vor allem das Zentrum, den Positionen Leinerts an.
„Denn Leinert garantierte die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und sorgte dafür, dass die unruhige Arbeiterschaft nicht vielleicht doch noch zum offenen Aufstand überging … Eine rein bürgerliche Kommunalverwaltung hätte schlecht gegen den Willen aufgebrachter Arbeiter bestehen können. Eine sozialdemokratische Mehrheit im Bürgervorsteherkollegium musste man als Folge der Eingemeindung Lindens nach Webers Ansicht (Abgeordneter des Zentrums) als ein notwendiges Übel in Kauf nehmen.“ (Buschmann) Außerdem sprachen einfach auch viele sachliche Gründe gegen den „hannoverschen Egoismus“, z.B. bessere Planungsmöglichkeiten sowie gemeinsame Infrastrukturen. Und die Mangelsituation in Linden musste endlich behoben werden.
So gewannen die Sozialdemokraten dann auch mit den Stimmen des Zentrums am 31.10.1919 in Hannover eine Mehrheit. 48 Bürgervorsteher waren für die Vereinigung mit Linden, 36 dagegen. Der spätere hannoversche Oberbürgermeister (und Deutsch-Hannoversche Partei-Vorsitzende) Arthur Menge, ein Gefolgsmann von Tramm, hatte noch vergeblich versucht, die Abstimmung durch die Forderung nach einer Volksabstimmung zu unterlaufen. (K. Mlynek). In Linden erfolgte der Beschluss im Magistrat und im Bürgervorsteherkollegium sogar einstimmig. Lindens OB Lodemann, ein durch das Kaiserreich geprägter Mann und wahrlich kein Sozialdemokrat, beschrieb das Ende seines „Lebenswerkes“ knapp so: „Am 1. Januar des Jahres 1920 stellte die Stadtverwaltung Linden ihre Tätigkeit ein, nachdem die beiderseitigen Städtischen Kollegien, in Hannover nach heftigem Kampf, die Vereinigung beider Städte beschlossen hatten.“ War das nun tatsächlich eine gute Entscheidung? Wie war und ist das Verhältnis zwischen Linden und Hannover in den letzten Jahrzehnten gewesen? Lebt in Hannover immer noch die „bessere“ Gesellschaft und Linden ist arm, aber sexy? Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Mein Quartier Linden“ werde ich am 28. Oktober im Freizeitheim Linden einen Vortrag über Linden seit 1920 halten.