Auf den Artikel über Gentrifizierung von Punkt-Linden in der vergangenen Woche gab es einige Resonanzen. Ein Leser wies uns darauf hin, dass aktuell in der Kochstraße 6 und in der Ottenstraße 5 Altbauten saniert werden. Gern würde die Redaktion mehr über die Begleitumstände erfahren, wir sind für weitere Hinweise dankbar. Auch den hannoverschen Stadtbaurat Thomas Vielhaber haben wir um ein Statement zum Thema gebeten, dieses steht aber noch aus.
Höchste Rendite mit Sanierung und Mietsteigerungen
Nach Auffassung des Lindener Grünen-Politikers Daniel Gardemin befinden wir uns nicht in einer einzigen Gentrifizierungswelle, sondern in mehreren Wellen, die aufeinanderfolgen. Vor rund zehn Jahren seien vor allem sogenannte „Stadtteile der zweiten Reihe“ mit niedrigen Kaufpreisen und niedrigen Mieten für Investoren auch in Hannover hochinteressant. Hierzu gehört auch Linden-Nord. „Hier konnte mit Sanierungen und Mietsteigerungen die höchste Rendite erzielt werden“, sagt Gardemin. Mit verhältnismäßig niedrigen Kauf- und Baupreisen konnten Gebäude über Modernisierungen zu hohen Preisen vermietet oder als teure Eigentumswohnungen verkauft werden.
„Die zweite Welle trifft nun die Gebäude, deren Finanzierungsmodell in die Phase der gestiegenen Kauf-, Bau- und Zinspreise fällt. In dieser Konstellation wird die Luft auch für die Investoren eng, sodass sie noch stärker auf Geschwindigkeit der Entmietung und den Einsatz von Entmietungstricks in rechtlicher Grauzone zurückgreifen“, sagt Gardemin. Ein Beispiel sei das „brachiale Vorgehen“ in der Pestalozzistraße 16. Es handele sich bei dem Investor nicht nur um eine dubiose Firma aus einer Steueroase in Ostdeutschland, sondern vor allem die Methoden der Firma seien anrüchig. „So werden Modernisierungen in einer Größenordnung angekündigt, die völlig unrealistisch sind. In der Summe soll die Miete mehr als verdoppelt werden“, so Gardemin.
Gerade läuft eine zweite Welle der Gentrifizierung
Die zweite Welle der Gentrifizierung habe sich auf Limmer, Linden-Süd, Hainholz, Vahrenwald und andere Stadtteile im zweiten Ring Hannovers ausgeweitet. Diese Stadtteile stellten zuvor noch Ausweichquartiere für Wohnungssuchende dar, sind aber inzwischen auch so gut nachgefragt, dass sich für Investoren der Einstieg lohnt. Folge der ersten wie der zweiten Welle ist vor allem die Verdrängung von Mieterinnen und Mietern, die in der um zehn Prozent von 500.000 auf 550.000 Menschen gewachsenen Stadt Hannover nun kaum noch Wohnnischen finden.
„Ob mit der Erhaltungsssatzung spekulative Abrisse zur Errichtung von Neubauten aufgehalten werden, kann ich nicht sagen. Sie werden aber sicherlich weniger wahrscheinlich, da sich nicht die maximale Rendite erzielen lässt. Insofern halte ich Erhaltungssatzungen für ein geeignetes Instrument, zielgerichtet Quartiere in einem Stadtteil zu schützen, die besonders stark von Gentrifizierung betroffen sind“, meint der Grünen-Ratsherr.
Welchen Schutz gibt es für Mieter*innen?
Neben der vom Rat bereits beschlossenen Zweckentfremdungssatzung gäbe es noch weitere Möglichkeiten, Schutz zu bieten. Ein wesentlicher Weg sei der ausreichende Bau von neuem, bezahlbaren Wohnraum. „An sich ist es gut, wenn der Wohnungsmarkt durch Neubau entlastet wird. Mit der hannöverschen Wohnungsbauoffensive werden jährlich durchschnittlich 1.200 neue Wohnungen errichtet. Allerdings schafft Neubau nur bedingt Schutz vor Mietsteigerung oder gar Wohnungsverlust, da bei jedem Aus- und Einzug die Mieten der Bestandswohnungen in der Regel deutlich steigen. Allein in den letzten zwei Jahren sind die Mieten in Hannover um über acht Prozent gestiegen.“
Ein nicht unwichtiges Thema ist die Unterstützung der Betroffenen. Hilfe und Aufklärung können dort helfen, wo Mieterinnen und Mieter durch Mieterhöhungsandrohungen oder durch Baulärm verunsichert und zu vorzeitiger Aufgabe ihrer Wohnung gedrängt werden. Es braucht dazu einer guten Zusammenarbeit von Quartiersmanagement, Quartiersselbsthilfe und Mietervereinen. Allerdings habe eine Kommune mit Erhaltungssatzungen und Zweckentfremdungen nicht alle Werkzeuge in der Hand. Gardemin: „Vor allem der Bund muss sich – gerade wenn er offensichtlich den versprochenen Wohnungsneubau nicht realisiert – für den Schutz der Mieterinnen und Mieter einsetzen“.