Mehr Wohnraum anstatt Erhalt von Altgebäuden?

Hinterhof Davenstedter Str. 5-7
Hinterhof Davenstedter Straße 5-7

Unser Stadtbezirk Linden-Limmer ist einem laufenden Wandel unterzogen. Blickt man über einen Zeitraum von 100 Jahren zurück, war die damalige Wohnsituation noch eine andere. Auf den Höfen gab es zu der Zeit z.B. zusätzliche Wohnungen in einem Hinterhaus. Oftmals hatten dort unter anderem Bäcker oder Schlachter eine Produktionsstätte oder andere Handwerker eine Werkstatt. Im Laufe der Jahre sind viele der Hinterhäuser abgerissen worden, nur noch wenige davon aus alter Zeit sind übrig geblieben.

Davenstedter Straße 5 und 7

Davenstedter Straße 5
Davenstedter Straße 5

Eine dieser alten Bebauungen ist noch am Anfang der Davenstedter Straße gleich hinter dem Lindener Marktplatz zu finden. Auf dem Grundstück der Hausnummer 5 steht ein kleiner Kiosk und an der Nummer 7 befindet sich ein altes Wohnhaus. Auf dem Hof steht noch ein Altgebäude, in dem seit vielen Jahren mehrere gewerbliche Mieter ansässig sind.

Bei beiden Grundstücken findet zum Jahreswechsel ein Eigentümerwechsel statt, worüber der bisherige Eigentümer alle Mieter informiert hat. Der neue Eigentümer plant, die Altgebäude abzureißen und stattdessen einen größeren Neubau über beide Grundstücke zu errichten.

Die bisherigen Mieter im Hinterhaus

Davenstedter Straße 7
Davenstedter Straße 7

Im Hinterhaus ist seit 1997 die Ateliergemeinschaft „Werkstatt zur Gelben Tasche“ ansässig; einige Mitglieder der ersten Stunde sind immer noch dabei. Die Gemeinschaft besteht aus sieben Künstler*innen zwischen 35 und 70, welche in den Bereichen Malerei, Druckgrafik, Fotografie, Bildhauerei, Installation und Objektkunst arbeiten. Sie stellen ein- bis zweimal im Jahr in den Räumen aus, machen aber auch jeweils Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland.

Beim „Zinnober“ sind sie von Beginn an dabei gewesen und laden oft zu Veranstaltungen ein, die z.B. musikalisch begleitet werden oder ein bestimmtes jahreszeitliches Thema haben (Blaues Wunder, Weihnachten, Sommerfest). Das Publikum dabei ist stadtteilaffin, sehr divers, und es besteht immer ein guter Zulauf.
Im letzten Sommer wurde die Ökostadt e.V. Aktion mit Strom und Wasser bei der Arbeit unterstützt, wobei auf dem Grundstück zur Straße ein Garten angelegt wurde.

Somit ist die Ateliergemeinschaft „Werkstatt zur Gelben Tasche“ ein seit vielen Jahren bestehender sozialer Treffpunkt und gleichzeitig kultureller Veranstaltungsort im Stadtteil Linden-Mitte.

Was wollen die Mieter tun?

Flyer zur Sitzung des Stadtbezirksrates Linden-Limmer
Flyer zur Sitzung des Stadtbezirksrates Linden-Limmer

Diese schließen sich mit den Mietern im Vorderhaus zusammen (sechs Wohnungen, deren Mieter vergleichsweise günstige Mieten zahlen), ebenso ist die Firma Grell Zahntechnik betroffen, die ihre Räumlichkeiten auch im Hinterhaus hat und deren Existenz bei einer Kündigung der Räume bedroht ist. Zudem betrifft die bevorstehende Kündigung noch Mieter über dem Kiosk.

Erhaltungssatzung beschlossen

In der Sitzung des Stadtbezirksrates Linden-Limmer wurde am 08.12.2021 einstimmig eine Erhaltungssatzung für die östliche Davenstedter Straße beschlossen. Diese wurde am 15.12. im Stadtentwicklungs- und Bauausschuss und am 16.12. im Verwaltungsausschuss jeweils einstimmig beschlossen und besagt nach § 172 Abs. 2 BauGB die Aufstellung einer Erhaltungssatzung.

Begründung des Antrages
Die Grundstücke liegen innerhalb des im Zusammenhang bebauten Ortsteils, für den keine Bebauungspläne existieren. Die planungsrechtliche Zulässigkeit richtet sich somit nach § 34 Baugesetzbuch (BauGB). Danach ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Weiterhin müssen die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden. Für die konkret vorliegende Bauvoranfrage sind aus der Sicht der Verwaltung die Einfügensvoraussetzungen nicht vollständig gegeben. Grundsätzlich wäre jedoch eine Bebauung mit einem Geschosswohnungsbau planungsrechtlich zulässig. Hierzu müsste jedoch eine Überarbeitung des gegenwärtig vorgelegten Entwurfes erfolgen. Die Beseitigung der vorhandenen Bestandsbebauung ist verfahrensfrei. Diese Bebauung steht nicht unter Denkmalschutz.

Bei den Wohngebäuden Davenstedter Straße 7 und 9 handelt es sich um Bebauung aus der vorgründerzeitlichen Epoche. Die Gebäude befinden sich noch in einem Zustand, an dem die Entstehungszeit genau abzulesen ist. Sie gehören damit zu einer Reihe von im Stadtteil vorhandenen Zeitzeugen und sind charakteristisch für die städtebauliche Struktur des auslaufenden 19. Jahrhunderts. Aus derselben Zeit befinden sich in unmittelbarer Nähe noch weitere heute unter Denkmalschutz stehende Bebauungen, zum einen das Schulgebäude der heutigen Grundschule Am Lindener Markt (1885/86) und zum anderen die Villa Stephanus (Davenstedter Straße 4; 1865/70). Auch im weiteren Umfeld im Stadtteil sind noch einige Bebauungen gleichen Ursprungs vorhanden, auch hier vereinzelt unter Denkmalschutz stehend. Es ist das Ziel, diese Gebäude bzw. Strukturen der vergangenen Epoche mit dem städtebaulichen Instrument der Erhaltungssatzung für künftige Generationen ggf. auch über den Denkmalschutz hinaus zu sichern und zu erhalten.

Die Wohngebäude Davenstedter Straße 7 und 9 befinden sich in einem Abschnitt der Davenstedter Straße als ehemalige Dorfstraße Lindens aus der Zeit vor Anlegung des Lindener Marktes mit seiner gegenwärtigen gründerzeitlichen Bebauung, wodurch die historische Wegeverbindung ihre Bedeutung verlor. Hinsichtlich der in diesem Bereich akut zu verzeichnenden Veränderungsabsichten soll nunmehr die städtebauliche Eigenart durch die Aufstellung einer Erhaltungssatzung geschützt werden. Ferner wird geprüft, inwieweit für übrige Gebiete im Stadtteil die Aufstellung weiterer Satzungen erforderlich sein wird.

Mit dem Aufstellungsbeschluss für eine Erhaltungssatzung nach § 172 Abs. 2 BauGB soll die Voraussetzung für die entsprechende Anwendung des § 15 BauGB als Plansicherungsinstrument geschaffen werden. Damit ist es möglich, bis zum Erlass einer Erhaltungssatzung Entscheidungen über – zulässige – Baugesuche zurückzustellen und auch verfahrensfreie Abbrüche vorhandener Bebauung zu unterbinden.

Wie könnte es weitergehen?

Veranstaltung im Hof
Veranstaltung im Hof

Die Erhaltungssatzung wird vermutlich einen Abriss der Altgebäude und den geplanten Neubau eines Mehrfamilienhauses kaum verhindern können, jedoch deutlich verzögern. Diese Satzung wird den bisherigen Mietern möglicherweise etwas Zeit verschaffen. Politik und Verwaltung erhalten damit die Möglichkeit, Einfluss bei der Gestaltung des Neubaus zu nehmen.

Nach Angaben von Stadtplanerin Caren Winters dazu in der Sitzung des Stadtbezirksrates sei bisher nicht erkennbar, dass die zuständigen Behörden weitere Bauten im Quartier in die Denkmallisten aufnehmen würden. Als seinerzeit über denkmalgeschützte Gebäude in Linden-Mitte entschieden wurde, wählten die Fachleute oft prächtige Gründerzeitbauten aus.

Bildnachweis: Stefan Ebers, Claudia Wilholt