Das Schicksal von Klaus hat viele aufgerüttelt (der Lindenspiegel berichtete in seiner Dezember-Ausgabe). Die Frage, ob man einem schwerkranken Menschen die Wohnung kündigen darf, auch wenn der Vermieter im juristischen Sinne Recht hat, hat eine Diskussion ausgelöst. Es wurde von anderen Beispielen von Verdrängung berichtet und es kam persönliche Anteilnahme. Besonders hervorheben möchte ich eine Leserin, die Klaus spontan 100 Euro zukommen ließ und einen Teil ihrer Garage zur Verfügung stellt. Wenn alles hineinpasst, braucht Klaus seine Möbel nicht mehr im Möbellager aufzubewahren. Das ist eine große Geste und zeigt, dass ein Einzelschicksal nicht einfach so hingenommen wird.
Eine feste Wohnung hat Klaus allerdings immer noch nicht. Leider hat sich der gesundheitliche Zustand von Klaus verschlechtert. In Folge seiner Krebserkrankung ist ihm ein künstlicher Zugang gelegt worden, ein sogenannter Port. Als ob das nicht schon schlimm genug wäre, erfordert eine solche Maßnahme einen festen Wohnsitz, da der Patient zweimal am Tag Infusionen erhalten muss. Nun scheint sich zumindest ein zeitlich befristeter Unterschlupf gefunden zu haben, so dass der Pflegedienst Klaus zweimal am Tag die notwendigen Infusionen geben kann. Aber eine Wohnung für Klaus wird weiterhin dringend gesucht. Wer etwas hört, möge bitte Marion informieren (Tel.: 0511-445681).
Der Berliner Soziologe Andre Holm, mit dem ich gemeinsam mit anderen gerade an einem vergleichenden Sammelband zum Thema Wohnungspolitik arbeite (Arbeitstitel: Lokale Wohnungspolitik, Beispiele aus deutschen Städten), hat genau zu solchen Verdrängungsvorgängen geforscht. Holm hat sich in Berliner Innenstadtvierteln Straße für Straße angeschaut und die Veränderungen über die Jahre dokumentiert. Vor allem die innenstadtnahen und angesagten Viertel mit vormals niedrigen Mieten werden von Wohnungssuchenden enorm nachgefragt. In Hannover sind das vor allem Linden, die Nordstadt, die Oststadt und die Calenberger Neustadt. Die hohe Nachfrage führt zu einer Fokussierung der Wohnungswirtschaft auf diese Spots. Die oft in Einzelbesitz befindlichen Gründerzeithäuser steigen durch die Zuzugserwartung im Wert und werden von größeren Unternehmen oder finanzstarken Einzeleigentümern gekauft. Wie im Fall von Klaus, finden vor dem Verkauf noch zusätzliche Maßnahmen zur Wertsteigerung statt, vor allem Mieterhöhungen. Damit ist die Preisspirale aber noch nicht am Ende. Holm spricht von einem „durch die hohen Verkaufspreise ausgelösten Verwertungsdruck.“ Die neuen Eigentümer gehen anders als die Mieter nicht aus Liebhaberei in die Szeneviertel, sondern wollen ihren Einsatz verzinst sehen. Es muss also letztlich für alle Mieter im weiterverkauften Haus teurer werden. So wie bei der Vollentmietung für Eigentumswohnungen in der Elisenstraße/Ecke Leinaustraße in Linden-Nord durch einen Berliner Investor. So wie im großen Stil derzeit am Lindener Berg im Sporleder-Viertel, wo die Wohnungsgesellschaft Vonovia teilweise über Modernisierungsumlagen die Kaltmiete auf 160 Prozent nach oben getrieben hat (vgl. HAZ vom 26.7.2018).
Holm sieht die Weiterverkäufe als Zwischenschritt in der Gentrifizierungslogik, die letztlich zu einer Konzentration des Eigentums im Besitz großer Immobilienfirmen führen. Wie die Zwischenbesitzer und Aufsanierer folgen sie im Fahrwasser, der den angesagten Wohnorten hinterherziehenden Gentrifier wie eine durch die Städte ziehende Karawane. „Diese Aufwertungskarawanen haben einen wohnungswirtschaftlichen Hintergrund. […] Aus einer immobilienwirtschaftlichen Perspektive ist diese symbolische Aufladung des Gebietes die Konstitution eines „besonderen Ortes“, der sich letztlich zu höheren Preisen vermarkten lässt“ (vgl. https://gentrificationblog.wordpress.com).
Um Missverständnissen vorzubeugen: Mir geht es nicht darum, den Menschen einen Vorwurf zu machen, die neu nach Linden ziehen. Ich bin selbst zu Studienzeiten Anfang der Neunzigerjahre in eine Wohngemeinschaft am Schwarzen Bär gezogen. Es sollte aber öffentlich werden, was in unserem Stadtteil passiert und ein Bewusstsein dafür entstehen, wenn offensichtlich rechtmäßiges Handeln ethisch nicht mehr zu rechtfertigen ist, weil am Ende der Kette persönliches Unglück steht. Ich bin auch nicht dagegen, dass Mieten steigen, wenn sich Lebenshaltungskosten, Handwerkerpreise etc. erhöhen. Es braucht aber das Maß, damit auch diejenigen in ihrem Stadtteil wohnen bleiben, die nicht jeden Mietpreis mitgehen können. Eine Verdrängung von Mietern hat nicht nur individuelle Folgen, wie der Umzug von Klaus in die Gartenlaube, der Fortzug in andere Stadtteile oder gar Obdachlosigkeit, sondern die Verdrängung belastet auch den gesamten Zusammenhalt einer Stadt. Gewachsene Strukturen zerfallen, soziale Nähe wird zerstört und die Mietspirale beginnt weitere Gesellschaftsschichten zu erreichen. Hannover gilt als die Stadt mit den höchsten Preissteigerungserwartungen am Wohnungsmarkt in den nächsten zehn Jahren (vgl. HAZ vom 13.2.2019).
Die Kündigung von Klaus, die Mieterhöhungen der Vonovia und die Umwandlung in der Elisenstraße sind drei von vielen Beispielen aus Linden, die signalisieren, wie schwer es auf dem Wohnungsmarkt geworden ist. Für die Pro- und Contra-Diskussion vor Ort empfehle ich die Bachelorarbeit von Kira Hochweis über Gentrifizierungsprozesse in Linden (Kira Hochweis: Gentrifizierungsprozessein deutschen Großstädten–am Beispiel des Stadtteils Hannover-Linden). Hochweis empfiehlt, ein Instrumentarium anzulegen, um „zeitnah auf Veränderungen im Stadtteil reagieren zu können.“ Sozialer Wohnungsbau und Erhalt von Belegrechten sind ein Mittel, um Verdrängung aufzufangen und mit neuem Wohnraum den Druck aus dem Nachfragemarkt zu nehmen. Das funktioniert aber nur bedingt in Innenstadtvierteln. Hier braucht es zusätzlich noch den Schutz des sozialen Miteinanders. Mit sozialen Erhaltungssatzungen gibt es ein kommunales Instrumentarium, auf die ausufernde Mietentwicklung einzuwirken. Immerhin ist durch sozialen Wohnungsbau und die Rücknahme von Belegrechtfreistellungen dieses Jahr zum ersten Mal seit zwanzig Jahren der kontinuierliche Abbau von Belegrechten in Hannover gestoppt worden. Jetzt muss der Bestand wieder aufgebaut werden.
Unter den Rückmeldungen zum Dezember-Artikel im Lindenspiegel war auch eine Mail des Vermieters. Er spricht von einem Vergleich, der „explizit vor dem Hintergrund seiner Erkrankung geschlossen wurde“ und davon, dass er trotz zweimaliger fristloser Kündigung dann eigentlich doch nichts hätte unternehmen wollen. Es war ja alles schon so teuer gewesen, „zumal wir zweimal die Vorbereitungen der Räumung incl. der Kosten am Bein hatten.“ Nach dem Auszug sei die Wohnung auch nicht für 11, sondern für 8 Euro Kaltmiete weitervermietet worden. Der Gesamtschaden habe sich durch Rechtskosten etc. auf bis zu sechstausend Euro belaufen. Und ich würde nur die „Lindener Narrative“ bedienen, das seien „Klischees“ und „dröges Klassengedöns“ und ich hätte mit ihm den „Falschen durch den Kakao gezogen“. Er schließt die Mail mit den Worten: „Schade, dass die Grünen im Norden so rot sind. Im Süden sind sie schwärzer.“
Den Namen des Eigentümers habe ich allerdings nicht genannt und werde ihn auch nicht nennen. Für mich steht die Geschichte von Klaus sinnbildlich für eine Haltung, die unsere Gesellschaft auseinandertreibt. Wer nicht für sich sorgen kann, nicht pünktlich zahlt oder in anderer Weise von den Normen abweicht, habe – so die Verteidigung des verantwortlichen Eigentümers – auch für die Folgen geradezustehen, egal in welcher Situation er oder sie sei. Der Eigentümer der Wohnung des Gekündigten setzt sich in sehr lockerer Haltung über das Schicksal des kranken Mieters hinweg. Er scheint es wie irgendeinen ärgerlichen Schaden an der Mietsache zu handhaben. Als ob eine Wasserleitung oder eine Glühlampe kaputt sei und mühsam und kostspielig ausgetauscht werden müsse. Ihm ist das lästig, er hat Aufwand. Der Mensch rutscht dabei völlig aus dem Blickfeld, bestenfalls sind dafür andere zuständig. Und Klaus habe es doch eigentlich auch so gewollt, er sei ja letztlich freiwillig ausgezogen. Das empfinde ich als doppelte Schuldzuweisung. Der Eigentümer blendet bewusst den Druck aus, den er aus der Position der Stärke und mit Ressourcen auf den Mieter ausübt. Eine jahrelange gerichtliche Auseinandersetzung erzeugt erheblichen Druck auf den Schwächeren und zermürbt ihn schließlich, wie im aufgezeigten Beispiel. Der Eigentümer erwähnt in seiner Mail nebenbei, dass er das von der städtischen Wohnungsgesellschaft GBH (hannova wohnen) erworbene Gebäude ja stetig verschönert habe. Ja, das stellt auch niemand in Abrede. Die Verschönerung und die Kündigung des Mieters haben aber maßgeblich dazu geführt, dass er das Gebäude heute zum mehr als doppelten Preis verkaufen konnte. Bei einem Gewinn in Größenordnungen im Millionenbereich werden die bejammerten bis zu sechstausend Euro für Rechtsanwalts- und Gerichtskosten doch erheblich relativiert. Wir hatten von Grüner Seite aus auf die Problematik der Verkäufe von städtischen Gebäuden bereits vor Jahren hingewiesen. Inzwischen sind die Verkäufe eingestellt worden. Im Ergebnis hat – wie der Fall zeigt – der Verkauf von günstigem städtischem Wohnraum zu teurem Weiterverkauf geführt, in dessen Prozess finanzschwache Mieter dauerhaft aus ihren Wohnungen und letztlich auch aus ihren Stadtteilen gedrängt werden.
Lindenspiegel 01-2020 – Daniel Gardemin
Eine ausführliche Fassung mit einer Einordnung in die Entwicklung Lindens findet sich auf blog linden#hannover unter: blog.gardemin.de