Als Gentrifizierung werden Aufwertungsprozesse innerstädtischer Wohnviertel bezeichnet. Gemeint ist damit ein „sozialökonomischer Strukturwandel, der durch eine Attraktivitätssteigerung zugunsten zahlungskräftigerer Eigentümer und Mieter als vorher und deren anschließenden Zuzug gekennzeichnet ist“, so die Definition bei Wikipedia. Ergebnis solcher Prozesse ist zumeist die Vertreibung ansässiger Bewohner*innen aus ihren Wohnungen bzw. ihrem angestammten Viertel.
Aufwertung hat in Linden eine lange Geschichte
In Linden wurden Aufwertungsprozesse in massiver Form schon vor Jahrzehnten im Rahmen der Stadterneuerung eingeleitet. Dagegen regte sich auch immer Widerstand: In Linden-Süd war es etwa ab 1972 die „Aktion Wohnungsnot“, in Linden-Nord dann die in der Bennostraße gestartete „Mietergruppe“ und die Initiative „Rettet die Viktoriastraße“. Im Ergebnis gelang es – auch dank der von der Stadt als Sanierungsträger eingeleiteten Bürgerbeteiligung – eine eher moderate Wohnungspolitik durchzusetzen. Flächensanierung oder Massenvertreibung fanden nicht statt.
Auch nach dem Ende der förmlichen Stadtteilsanierungen gab es immer wieder Proteste gegen drohende Abrisse oder Luxussanierungen. Ein Beispiel dafür waren die Aktionen der „Kampagne Ahoi“, die ab 2011 u.a. mit Besetzungen des Hauses Limmerstraße 98 oder der ehemaligen Räumlichkeiten des 9. Polizeireviers (heute Villa Stephanus) in der Gartenallee von sich reden machte. Auch wenn die Baukonjunktur angeblich stagniert, sind der Redaktion von Punkt-Linden aktuell mehrere Fälle in den Stadtteilen Linden-Nord und -Mitte bekannt, bei denen der Verdacht auf Gentrifizierung nahe liegt. Hier vier Beispiele, für Hinweise von Leser*innen auf weitere Verdachtsfälle ist die Redaktion dankbar.
Aktuell gibt es mehrere Verdachtsfälle auf Gentrifizierung
Schon länger bekannt ist die Lage um das Gebäudeensemble Davenstedter Straße 5-7 am Lindener Markt. Hier will der Eigentümer die historische Substanz abreißen und Neubauten errichten lassen. Die Wohnungen stehen bereits leer, eine Trinkhalle ist geschlossen und die Künstler*innengruppe „Gelbe Tasche“ musste ihr Atelier im Hinterhaus räumen. Auf Initiative des Bezirksrates hat die Stadt eine Erhaltungssatzung erlassen, wogegen der Eigentümer vor Gericht gezogen ist. Der Ausgang ist offen.
Auch beim gelben Mehrfamilienhaus Pestalozzistraße 16 steht der Vorwurf einer Gentrifizierung im Raum. Das viereinhalb-geschossige Gebäude wird derzeit von einer Firma aus Zossen modernisiert. Davon zeugen Schuttcontainer vor dem Haus, Unmengen im Eingangsbereich gelagerte Baustoffe und seit Langem werkelnde Handwerker. Die Hälfte der Wohnungen steht bereits leer. „Fünf Parteien sind noch im Haus; Fernwärme wird vorbereitet; der Dreck und der Lärm sind manchmal haarsträubend“, schrieb uns jetzt einer der verbliebenen Mieter: „Nun kommt eine schlimme Sache hinzu: Enercity teilte mir mit, dass meine beiden Gasöfen nicht auf H-Gas umgestellt werden können. Das Fatale ist, dass die Situation dem Vermieter in die Hände spielt und mich so, wenn Enercity mir Anfang März das Gas abstellen will, zum Auszug zwingt. Doch wohin?“
Bereits im April 2023 waren diese Praktiken des Eigentümers und die damit verbundenen Mietsteigerungen Gegenstand einer Anfrage der Grünen im Bezirksrat. Antwort der Stadtverwaltung: „Das Gebäude Pestalozzistraße 16 liegt nicht in einem Sanierungsgebiet. Es gibt dort auch keine geförderten Wohnungen. Es greift also lediglich das allgemeine Mietrecht. Die Zulässigkeit der im Raum stehenden Mietsteigerungen wäre im Zweifel gerichtlich zu klären.“ Sprich: Der Stadt sind die Hände gebunden und die Mieter*innen müssen alleine klarkommen.
Weitere Verdachtsfälle auf Gentrifizierung finden sich in der Nieschlagstraße. So soll der Flachbau an der Ecke zur derzeit gesperrten Brücke demnächst einem neuen Holzgebäude weichen. Ein Stück weiter prangt am leer stehenden Haus Nr. 32 ein großes Werbetransparent. Hier sollen zwei neue Häuser mit insgesamt neun Eigentumswohnungen entstehen, heißt es darauf. Direkt gegenüber wurde bereits abgerissen, eine Baulücke wartet auf eine Neubebauung. „Man fragt sich, warum die Häuser nicht unter Denkmalschutz stehen, warum sie nicht saniert werden können und warum aus drei Häusern zwei werden, mit weniger Wohnraum. Was sagt der Denkmalschutz dazu? Und man hat den Eindruck, dass seitdem der neue Baudezernent Vielhaber im Amt ist, so viel abgerissen wird, wie lange nicht“, schreibt uns ein besorgter Anlieger.
Die Redaktion ist für weitere Informationen dankbar
Ein letztes Beispiel aus der direkten Nachbarschaft des sogenannten „Toblerone-Hauses“ wurde uns jetzt zugetragen. Es handelt sich um die Gebäude auf dem Eckgrundstück Pavillonstraße / Fortunastraße. Hier stehen noch ein typisches, zweigeschossiges Arbeiterhaus und dessen Nebengebäude, allerdings seit Längerem leer. Früher waren hier mal eine Tischlerei und eine Kohlenhandlung. Der neue Eigentümer hat eine Neubebauung angekündigt. Man darf auf die konkreten Pläne gespannt sein.