
„Systematische Schwächung der innerparteilichen Strukturen“, „Verfall der Parteikultur“ und „Politische Inaktivität“ sind nur drei der insgesamt acht Vorwürfe, die 19 Parteimitglieder bereits im Juni 2025 in einem schriftlichen Abwahlantrag gegen den bisherigen Lindener SPD-Vorsitzenden Philipp-Sebastian Schmalstieg erhoben haben. Unter den Mitgliedern eskalierte damit ein schon seit Jahren im Ortsverein schwelender Konflikt.
Vorwurf der Missachtung von Parteikultur
„Es ging im Kern um die Wiederherstellung der innerparteilichen Demokratie“, sagt dazu Ernst Barkhoff, einer der Unterzeichner des Abwahlantrags gegen Schmalstieg und ehemaliger SPD-Ratsherr. „Organisationsstatuten und Parteikultur wurden lange missachtet, Kritiker ausgegrenzt. Mitgliederversammlungen fanden seit 2023 nicht mehr statt. Öffentliche politische Veranstaltungen gab es keine. Die SPD-Wahlergebnisse in Linden-Limmer stürzten ab“, so Barkhoff auf Anfrage von Punkt-Linden.
Für Verärgerung bei einigen Genoss*innen hatte insbesondere auch die von Schmalstieg veranlasste Schließung des Lindener SPD-Parteibüros in der Fortunastraße gesorgt. „Sämtliches Mobiliar sowie alle Wahlkampfmaterialien wie Plakatständer, Galgen und rote Zelte wurden für 3.000,– Euro von einer Firma entsorgt“, empört sich ein langjähriges Parteimitglied. Offizielle Anschrift des Ortsvereins sei danach die Privatwohnung des Vorsitzenden geworden.
SPD-Parteikarriere und Wahlverluste in Linden-Limmer

Im Alter von 29 Jahren in die Partei eingetreten, wurde der heute 46-Jährige Sozialdemokrat Philipp Schmalstieg 2010 mit großer Mehrheit zum Ortsvereins-Vorsitzenden von Linden-Limmer gewählt. Seit 2019 ist er Mitglied im SPD-Bezirksvorstand Hannover und seit 2021 Ratsherr der Landeshauptstadt Hannover. Dort fungiert er u. a. als baupolitischer Sprecher seiner Partei. Er trat mit seinem politischen Engagement in die Fußstapfen seines populären Vaters Herbert Schmalstieg (82), der von 1972 bis 2006 für die SPD hannoverscher Oberbürgermeister war.
Mit der Dominanz der Sozialdemokraten ging es in Linden-Limmer bald zu Ende. Hatte die Partei bei Wahlen bis in die 1970er Jahre noch absolute Mehrheiten im einst „Roten Linden“ erzielt, musste sie 2011 bei den Wahlen zum Bezirksbürgermeister eine deftige Niederlage hinnehmen. Damals wurde vom Stadtbezirksrat mehrheitlich der von den Grünen nominierte Parteilose Rainer-Jörg Grube gewählt, der das Amt bis heute innehat. Die Ergebnisse der letzten Bezirksratswahlen sprechen Bände: Erhielt die SPD im Jahr 2001 noch 42,5 % der Stimmen, waren es 2021 nur noch 19,3 %. Im gleichen Zeitraum steigerten sich die Grünen von 25,7 auf 45,7 %.
Mitgliederversammlung mit Parteiprominenz
„Es war ziemlich fürchterlich“, erinnert sich der langjährige SPD-Lokalpolitiker Eike Geffers (82) an die Stimmung auf der Versammlung vom letzten Samstagnachmittag in Badenstedt, Anwesend waren 73 Genoss*innen von den noch rund 300 Mitgliedern des Ortsvereins, darunter auch „allerhand Prominenz“: Stadtverbandsvorsitzender und MdB Adis Ahmetović, LHH-Dezernent und SPD-OB-Kandidat Axel von der Ohe, Ex-Ratsfraktionsvorsitzende Christine Kastning, die ehemalige Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn, sowie der ehemalige Niedersächsische Umweltminister Wolfgang Jüttner nahmen an der Versammlung teil.
„Ein Pressevertreter, der teilnehmen wollte, wurde nicht zugelassen“, weiß Geffers. In der Tat war ein Punkt-Linden-Redakteur gegen 17 Uhr an der Tür des AWO-Hauses am Körtingsdorfer Weg – dort fand am 13. September 2025 die Mitgliederversammlung des SPD-Ortsvereins statt – und wurde dort abgewiesen. Hinter verschlossenen Türen wählten dort die Genoss*innen Andreas Gehrke – 69 Jahre alt und ehemaliger GEW-Funktionär – zu ihrem neuen Vorsitzenden in Linden-Limmer.
„Mit viel Herzblut und Liebe dabei“
Der Abwahlantrag gegen Schmalstieg wurde nicht auf die Tagesordnung genommen und auch nicht verteilt, berichtet ein Teilnehmer an der Versammlung. Der Geschäftsführer des SPD-Bezirks, Christoph Matterne, habe in einer schriftlichen Stellungnahme erklärt, der Antrag sei durch die Neuwahlen gegenstandslos geworden. Offensichtlich war der Konflikt um Schmalstieg von der hannoverschen Parteiführung bereits im Vorfeld geklärt worden. Im Ergebnis hatte Schmalstieg nicht mehr für den Vorsitz in Linden-Limmer kandidiert. „Wir denken, dass mit dem neuen Vorsitzenden Andreas Gehrke innerparteiliche Demokratie und politische Diskussion wieder aufleben. Unser Abwahlantrag hat damit sein Ziel erreicht“, so das Resümee von Ernst Barkhoff.
„Ich war fünfzehneinhalb Jahre Vorsitzender der SPD Linden Limmer und wurde insgesamt sieben Mal in diese Funktion gewählt“, erklärt Philipp Schmalstieg auf Anfrage von Punkt-Linden: „In all den Jahren war ich mit viel Herzblut und Liebe dabei.“ In diesem Jahr habe er nicht mehr kandidiert, da er sich voll auf die intensive Wahrnehmung seines Ratsmandates konzentrieren wolle. Er bleibe aber als Beisitzer Mitglied des Vorstandes. „Ich freue mich besonders, dass alle Personal- und Sachentscheidungen von der Mitgliederversammlung mit sehr, sehr großer Mehrheit getroffen wurden.“
Für kommende Herausforderungen gut aufgestellt
Noch vor Kurzem warb der SPD-Lokalpolitiker für sich im Internet: „Ich möchte dabei helfen, unsere Organisationsstruktur weiterzuentwickeln, damit wir auch in Zukunft eine schlagkräftige, lebendige und moderne Mitgliederpartei bleiben und für die kommenden Herausforderungen gut aufgestellt sind“. Mit diesen Vorsätzen konnte sich Schmalstieg an der Basis seiner Partei im traditionsreichen Ortsverein Linden-Limmer nun offenbar nicht behaupten.