Lindener Personen und Projekte (VII): Das Kesselhaus

Das Kesselhaus der ehemaligen Bettfedernfabrik mit dem markanten Schornstein.
Das Kesselhaus der ehemaligen Bettfedernfabrik mit dem markanten
Schornstein (Foto: Jonny Peter)

Das Kesselhaus der ehemaligen Bettfedernfabrik Werner & Ehlers – Der letzte Zeuge der Industrialisierung in Linden-Nord

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden im Zeitalter der Industrialisierung an der Ihme und an der Leine in Linden zahlreiche Fabriken angesiedelt. Hier gab es große Flächen Land und eben für viele Fabriken wie die Textilindustrie das wichtige Wasser. Neben den bekannten Firmen wie der Mechanischen Weberei mit ihrem Lindener Samt (heute Ihmezentrum) oder der Hannoverschen Baumwollspinnerei (heute Heizkraftwerk) gab es in Linden-Nord auch kleinere, heute nicht mehr vorhandene Gummifabriken und Chemische Fabriken an Koch-, Stärke- und Gummistraße. Und es gab die Bettfedernfabrik von Werner&Ehlers. Diese siedelte sich 1890 erst spät im Lindener Industriegürtel an und umfasste weit mehr Flächen als das heute bekannte Areal von FAUST und Ökologischem Gewerbehof. Da einige unter Denkmalschutz stehende Gebäude und Gemäuer erhalten geblieben sind, ist wenigstens noch etwas von der ehemaligen Industrialisierung Lindens nachvollziehbar. Am offenkundigsten ist dies beim Kesselhaus der ehemaligen Bettfedernfabrik mit dem Schornstein der Fall. Der Schlot, 1913 erbaut und damit deutlich älter als die drei „Warmen Brüder“ des Heizkraftwerks aus den 1960er Jahren, gehört zu den letzten Überbleibseln aus dieser vergangenen Epoche. Mit dem Motto „Der letzte Zeuge“ wirbt eine Initiative von FAUST denn auch für die Revitalisierung des Kesselhauses, schließlich gehört nicht nur Kultur, sondern auch Denkmalschutz zu den Vereinszielen von FAUST. Das ist beim Kesselhaus gelungen – und zwar ausgesprochen erfolgreich.

Eine Bettfedernfabrik benötigt u.a. zum Waschen und Trocknen und für die Heißdampfbehandlung viel Energie. Dafür setzte man Dampfmaschinen ein, deren Leistungsfähigkeit ständig vergrößert wurde. Das heute noch vorhandene Kesselhaus wurde 1927 gebaut, ist 15 m hoch und war das dritte und größte von vier Kesselhäusern im Laufe der Fabrikgeschichte. Es war bis zum Bombenangriff 1943, der große Teile der Fabrik zerstörte, in Betrieb. In der Nachkriegszeit wurde Strom direkt bezogen und die Dampfmaschinen und das große Kesselhaus nicht mehr benötigt. Der Kessel im hier beschriebenen Kesselhaus ist 9,42 m hoch, 4,55 m breit und steht auf 42qm Grundfläche. Das Kesselhaus ist die äußere Hülle. Das Gebäude ist um den Kessel gebaut. Der ist das Besondere, denn der Drei-Trommel-Kessel ist heute in seiner Bauart einmalig und denkmalgeschützt. Andreas Kleine, 59 Jahre alt, ist einer der FAUST-Gründer und gehörte auch zur ersten AG aus dem Jahre 1989 im Vorfeld von FAUST, die sich mit dem Kesselhaus beschäftigte und darin eine Geschichtsgalerie einrichten wollte. Er entwarf damals in seiner Abschlussarbeit als Innenarchitekt ein Konzept für eine Umnutzung als Industriemuseum. Seit einigen Jahren engagiert er sich in der neuen Kesselhaus-Initiative von FAUST bzw. der FAUST-Stiftung. Dieser gehört das Gebäude inzwischen. Andreas Kleine erläutert uns hier die ehemalige Funktionsweise des Kesselhauses, die er sonst Besucher*innen in der Kesselhaus-Ausstellung mit Fotos, Schautafeln und Videofilmen zeigt.

„Man muss sich den Kessel wie einen riesigen Ofen vorstellen. Energieträger war Kohle aus dem Deister, die vom Güterbahnhof Küchengarten erst mit Pferdekutschen, dann später mit Lastwagen zur Fabrik gefahren und hier mit Loren zum Kesselhaus transportiert wurde. Die Kohle wurde mithilfe eines Aufzugs (Becherwerk) in einen Trichter, den sogenannten Tagesbunker, befördert. Von hier gelangte die Kohle über eine Schütte auf das sogenannte Wanderrost, das die dort entzündete Kohle mithilfe eines Elektromotors 10 cm pro Minute in den Brennraum schob. Die verbrannte Asche fiel am Ende des Wanderrostes durch einen Trichter in die darunter stehende Lore und konnte dann abgefahren werden.

Andreas Kleine im Innern des Kesselhauses
Andreas Kleine im Innern des Kesselhauses

Im Kesselgehäuse befinden sich drei Kessel, die zu einem Kreislauf mit vielen Verbindungsrohren (und damit einer größeren Angriffsfläche) montiert wurden. Dadurch entstand ein Naturumlaufverfahren. Das Speisewasser, das zuvor aus der Ihme gepumpt und gereinigt wurde, durchfloss zunächst ein Rohrsystem, das den Kesseln vorgeschaltet war, den sogenannten Economiser. Dort wurde es auf 100 Grad vorgewärmt und dann im Hauptbrennraum auf 225 Grad erhitzt. Der dabei entstandene Dampf, der sich in den zwei oben liegenden – nur halb mit Wasser gefüllten – Trommeln bildete, war allerdings noch zu nass und musste getrocknet werden. Dazu wurde der Dampf noch einmal durch ein Rohrsystem, dem sogenannten Überhitzer, durch den Brennraum geschickt und gelangte dann erst zu den zwei 1250 PS starken Dampfmaschinen aus dem Jahr 1934. Sie befanden sich südlich des Kesselhauses. Diese wiederum trieben die ca. 300 Maschinen der Bettfedernfabrik mit Hilfe von Transmissionsgestängen an. Zusätzlich wurde ein Teil des Dampfes zur Desinfizierung der Bettfedern benutzt. Insgesamt sind im Innern des Kessels ca. 2000 m Rohre verbaut.“ Ein Problem war jahrelang, dass das Gebäude u.a. durch asbesthaltiges Dämmmaterial so stark belastet war, dass es nicht betreten werden durfte. Dazu kamen die Gesundheitsgefährdungen durch den jahrzehntelang angehäuften Taubendreck. So konnte anfangs nur ein kleiner, unbelasteter Teil des Kesselhauses für die Pizzeria und die Toiletten des Biergartens Gretchen genutzt werden.

Es gab viele Ideen zur Nutzung, aber eben auch zwei große Hindernisse: Eine Nutzung geht natürlich erst, wenn das Kesselhaus aufwändig von den Belastungen saniert würde – und das ist teuer. Und durch den fast das gesamte Gebäude beanspruchenden Kessel ist das Gebäude kaum inhaltlich zu füllen, denn es bleibt kaum Platz zwischen Kessel und Gebäudewand übrig. Immerhin konnte FAUST 1997/1998 erst einmal den gefährdeten Schornstein und das Dach mit Unterstützung der Stadt und mit Landesmitteln sichern. Die obersten 18 m des Schornsteins wurden abgetragen, aus statischen Gründen um fünf Meter verkürzt und dann wieder aufgebaut. Jetzt misst er 45 m.

Längere Zeit passierte danach nichts. FAUST befand sich ja schließlich auch einige Jahre in einem Insolvenzverfahren und hatte kein Geld für das Kesselhaus. Dann gründete sich 2013 eine neue Kesselhaus-Initiative, die die Sanierung vorantreiben wollte – und letztlich damit erfolgreich war. 2016 konnte man auch durch Vermittlung des Lindener Bundestagsabgeordneten der Grünen, Sven Christian Kindler, Bundesmittel des Sonderprogramms Denkmalschutz einwerben. Dazu kamen Mittel von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, der Sparkasse, der Volksbank und aus vielen Einzelspenden (Erwerb eines „Baustein Sanierung Kesselhaus“). Die Asbestsanierung konnte durch verbesserte und kostengünstigere Techniken erfolgen. Sie dauerte nur ca. vier Monate. Mit den Geldern konnten Asbest und Taubendreck entsorgt, Türen und Fenster erneuert, Balkone angebracht, Dach und Fassade repariert sowie eine Grundbeleuchtung installiert werden.

Sanierung, Entsorgung und Anschaffungen haben seit 1997 insgesamt ca. 450.000 Euro gekostet. Die Leitung des Sanierungskonzeptes hatte der Architekt Jan Habermann von der Lindener AGSTA inne. Am 11.9.2016 konnte dann passend zum Tag des Denkmalschutzes das Gebäude wieder geöffnet werden. Zur Eröffnung kamen schon ca. 2.500 interessierte Besucher*innen. Inzwischen dürften es an die 10.000 gewesen sein. „Wir hatten bis zur Corona-Pandemie ja meistens zweimal im Monat (am Sonntag) geöffnet und wurden gut besucht. Zwischendurch haben wir Ausstellungen gezeigt und kleinere Lesungen, Musik- und Theaterveranstaltungen für bis zu 50 Personen durchgeführt“, so Andreas Kleine. Durch Corona liegt auch hier seit einem Jahr vieles brach. Das engagierte, ehrenamtlich arbeitende Team der Initiative hofft, dass es bald wieder das Kesselhaus öffnen und präsentieren kann. Neben den Öffnungszeiten und kleineren Kulturveranstaltungen ist für die Zukunft ein Lernort für Kinder und Schüler*innen zur Vermittlung der Industriegeschichte geplant. Die FAUST-Stiftung wurde 2018 für die Sanierung des Kesselhauses mit dem Landespreis für Denkmalpflege ausgezeichnet. Für die Zukunft wäre nach der baulichen Rettung nun eine gute Personalausstattung für die inhaltliche Ausgestaltung und das Programm wünschenswert, um das Gebäude dauerhaft und kontinuierlich mit Leben füllen zu können. Es würde sich lohnen.

Mehr Infos auf www.linden-kesselhaus.de

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