Interview: Rainer-Jörg Grube über Grüne, Macht und Politik in Linden-Limmer

Rainer-Jörg Grube
Rainer-Jörg Grube im Interview

Am 16. Dezember berichtete Punkt-Linden unter der Überschrift „Grüne Linden-Limmer: Bezirksbürgermeister Grube nicht erneut nominiert“ über eine Entscheidung der Grünen-Stadtteilgruppe Linden-Limmer, die weit über den Stadtbezirk hinaus Aufmerksamkeit erzeugte.

In einem sogenannten Votentreffen der Grünen-Stadtteilgruppe wurde entschieden, den amtierenden Bezirksbürgermeister Rainer-Jörg Grube nach rund 30 Jahren kommunalpolitischer Tätigkeit nicht erneut als Kandidaten für den Stadtbezirksrat aufzustellen. Die niedersächsischen Kommunalwahlen finden am 13. September 2026 statt; parteiintern werden bereits jetzt die Kandidatinnen und Kandidaten nominiert.

Die Grünen im Stadtbezirk Linden-Limmer werden bei der Kommunalwahl 2026 damit ohne ihren langjährigen Bezirksbürgermeister antreten. Diese Entscheidung hat zahlreiche Reaktionen ausgelöst – aus dem Bezirksrat, aus Parteikreisen und in der Öffentlichkeit. Viele Kommentare wurden veröffentlicht, nur der direkt Betroffene selbst hatte sich bislang nicht öffentlich geäußert.

Wohnungsgenossenschaft Gartenheim eG
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30173 Hannover

Im Gespräch mit Stefan Ebers holt Rainer-Jörg Grube diese Stellungnahme nun nach. Er schildert ausführlich seine Sicht auf den Ablauf der Votenvergabe, reagiert auf Vorwürfe und Zuschreibungen und erläutert seine politischen Positionen.

Interview

Punkt-Linden: Es wird derzeit sehr viel über Dich geredet. Nach außen wirkst Du ruhig, eine öffentliche Stellungnahme zur Nichtnominierung gab es bisher nicht. Warum?
Grube: Es hat zwar eine aufsehenerregende Sitzung gegeben, aber darüber ist im Grunde alles berichtet worden. Da die Presse anwesend war, hielt ich es zunächst nicht für erforderlich, etwas zu korrigieren. In der Zwischenzeit ist jedoch sehr viel Müll und Unwahres über mich zu lesen gewesen, sodass ich mich entschlossen habe, jetzt doch einiges zu kommentieren.

Punkt-Linden: Vor rund 14 Tagen hat die Sitzung der Grünen-Stadtteilgruppe Linden-Limmer stattgefunden, auf der Du nicht erneut für die nächste Kommunalwahl nominiert wurdest. Wer ist diese Stadtteilgruppe – und akzeptierst Du diese Entscheidung?
Grube: Die Stadtteilgruppe ist die niedrigste Basisorganisation der Grünen. Sie bildet sich aus den Mitgliedern der Partei in Linden-Limmer und ist damit auch zuständig für Beschlüsse dieser Art. Ich akzeptiere die Entscheidung. Ich habe sie sogar verlangt, weil ich regelbasiert behandelt werden wollte. Vermutlich gibt es über zweihundert Mitglieder, anwesend waren etwa 30, von denen wiederum nur rund drei Viertel stimmberechtigt waren.

Punkt-Linden: Du hast diese Entscheidung also bewusst eingefordert. Was sind die Hintergründe?
Grube: Im August wurde erstmals über den Mailverteiler der Stadtteilgruppe dazu aufgerufen, sich für die nächsten Kommunalwahlen zu bewerben, ein weiteres Mal im September. Ich habe mich Mitte September schriftlich per Mail beworben – für den Bezirksrat, den Rat und die Regionsversammlung, wie auch schon bei den fünf vorherigen Kommunalwahlen. Anfang November wurde ich von den beiden Stadtteilgruppensprecherinnen zu einem Gespräch eingeladen, das am 20. November stattfand. Dort wurde ich gebeten, meine Kandidatur zurückzuziehen, da es in der Stadtteilgruppe keine Mehrheit für meine Person gebe.

In einem ausführlichen Gespräch versuchte ich, Details und Hintergründe zu erfahren. Das Ergebnis blieb jedoch sehr zurückhaltend. Wörtlich hieß es: „Wir wollen ja keine schmutzige Wäsche waschen, aber die Ablehnung Deiner Person ist schon seit Wochen spürbar.“ Ich habe meine Kandidatur daraufhin nicht zurückgezogen, sondern eine Entscheidung in einer öffentlichen Sitzung gefordert. Diese Sitzung zur Votenvergabe war ohnehin geplant und fand am 11. Dezember statt.

Zu dieser Sitzung erhielt ich keine Einladung und habe auch bis heute keine weiteren Mails bekommen. Ein wohlmeinender Kollege hat mir anonym die Einladung zukommen lassen, verbunden mit dem Hinweis, ich solle mir besser eine ausreichende Mehrheit mitbringen. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass seit Monaten Stimmung gegen mich gemacht worden sei, dass sich die Sprecherinnen selbst auf die vorderen Listenplätze gesetzt hätten und es Ambitionen gebe, auch mein Bürgermeisteramt zu übernehmen. Ich bin dieser Empfehlung nicht gefolgt und allein zu der Sitzung erschienen.

Zu Beginn habe ich moniert, dass ich nicht eingeladen worden war und ich trotz schriftlicher Bewerbung nicht auf der Liste stand. Mir wurde erklärt, die fehlende Einladung liege daran, dass ich mich angeblich von der Einladungsliste habe streichen lassen – was nicht stimmt. Dass ich nicht auf der Liste stand, wurde mit fehlender Unterstützung begründet. Ich könne mich aber im Laufe der Sitzung erneut bewerben, sofern mich ein anwesendes Mitglied vorschlage.

Angesichts dieser Vorgeschichte habe ich in der ersten Runde, bei der Aufstellung für den Stadtrat, nicht kandidiert. Für die Liste zum Bezirksrat hat mich dann ein langjähriger grüner Kollege vorgeschlagen, und es kam zu dem bekannten Ergebnis. Mir ging es darum, dass meine Bewerbung nicht hinter verschlossenen Türen gestrichen wird, sondern dass es ein offenes, protokolliertes Votum gibt. Das war ich mir selbst schuldig – nach 29 Jahren Mitgliedschaft. Und da die Presse anwesend war, ist eine abweichende Darstellung nun auch schwierig. Das ist im Kern die Geschichte.

Punkt-Linden: Aber?
Grube: Mit den Kommentaren zu der Onlineberichterstattung begann auch eine Demontage meiner Person und meiner bisherigen Arbeit, teils durch falsche Behauptungen und Zuschreibungen. Deshalb äußere ich mich jetzt. Ich habe keinen Grund, mich für Vergangenes zu rechtfertigen, aber Fake und Müll lasse ich auch nicht anonym über mich auskübbeln.

Zur Votenliste

Punkt-Linden: Bevor wir inhaltlich einsteigen, noch einmal zur Votenliste: Wer findet sich dort? Ist das ein Aufbegehren der „jungen Wilden“, ein Konflikt Frauen gegen Männer oder etwas anderes?
Grube: Keineswegs. Viele „junge Wilde“ kann ich nicht entdecken. Es gibt eine Person, die wirklich jünger ist, alle anderen sind mittleren oder fortgeschrittenen Alters. Es ist eine sehr respektable Liste grüner Prominenz und Kompetenz. Darunter ein Kollege mit Bundestagsmandat, eine Kollegin mit Landtags- und Regionsmandat, ein Ratsmitglied der Stadt Hannover, ein Mitglied des Parteirats der Grünen Hannover, ein Mitglied aus dem Regionsvorstand und ein weiteres Mitglied aus dem Vorstand der Grünen Niedersachsen – sowie natürlich auch Menschen aus dem Stadtteil.

Punkt-Linden: Das heißt, nahezu dieselbe Gruppe, die zuvor die Liste erstellt und Dich ausgeschlossen hat, hat diese Liste nun auch beschlossen. Falls sie gewählt werden, entstehen dann nicht Doppel- oder Mehrfachmandate? Wurde darüber gesprochen?
Grube: Ja, das ist richtig erkannt, und es könnten sogar Dreifachmandate entstehen. Darüber wurde nicht gesprochen – früher wäre das vermutlich thematisiert worden. Man kann argumentieren, dass höhere Mandate auch mehr personelle Ressourcen mit sich bringen. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich eine jahrzehntelange Praxis umkehrt: Linden wurde früher oft als Karriereschritt nach oben genutzt. Noch bei der letzten Wahl hörte man Sätze wie „Ich brauchte das für meine Vita“, und nach der Wahl waren engagierte Leute vor Ort nicht mehr präsent. Nun scheint es eher ein „back to the roots“ zu geben.

Punkt-Linden: Aber ist das praktisch überhaupt leistbar – zeitlich und organisatorisch? Und gab es früher nicht Aversionen gegen Mehrfachmandate?
Grube: Da bin ich der falsche Adressat. Früher hatten wir auch einen Kaiser.

Punkt-Linden: Abschließend hierzu: Wie hoch war Dein durchschnittlicher Arbeitsaufwand als Bezirksbürgermeister und im Stadtbezirksrat – auch ohne die Dir vorgeworfene geringe Parteipräsenz?
Grube: Mindestens 20 Stunden pro Woche.

Inhaltliche Kritik

Punkt-Linden: Ein Kritikpunkt lautet, Dir fehle ein „grünes Profil“. Gleichzeitig finden sich in Deiner Biografie ein überzeugter Antifaschist, ein Atomkraftgegner, ein Förderer von Kultur und Sozialem, ein Kritiker von Gentrifizierung und ein Verfechter der „Lindener Mischung“. Wie passt das zusammen?
Stichwort Klimawandel
Grube: Ich habe mich erstmals 1980 mit dem Klimawandel beschäftigt, als der Club of Rome seine Publikationen veröffentlichte. Seitdem versuche ich, ein möglichst nachhaltiges Leben zu führen – bei Energie, Mobilität und Ressourcenverbrauch. Als Bezirksbürgermeister sind die konkreten Handlungsmöglichkeiten allerdings begrenzt. Trotzdem haben wir immer wieder fordernde, auch provokative Beschlüsse gefasst.

Punkt-Linden: Du bist bekennender Korsika-Fan. Da kommt man nicht mit dem Fahrrad hin.
Grube: Nein, man muss fliegen oder mit dem Auto fahren. Ich war zuletzt vor neun Jahren dort, mit meiner damals 86-jährigen Mutter. Grüße an Kolleginnen und Kollegen, die gerade aus Shopping-Urlauben in New York oder Südamerika zurückgekommen sind – das waren vermutlich auch keine Kanutouren.

Mobilität

Punkt-Linden: Dir werden autozentrierte Positionen zugeschrieben. Woher kommt das – und hast Du ein Auto?
Grube: Vielleicht wegen meiner Aussagen zum Westschnellweg. Ich halte ihn in seiner heutigen Funktion für unverzichtbar, bin aber gegen einen Ausbau. Ich habe ein Auto, ein Lastenrad, ein E-Bike, ein Fahrrad und einen Anhänger. Etwa 20 Prozent meiner Wege lege ich mit dem Pkw zurück.

Punkt-Linden: Warum überhaupt noch ein Auto?
Grube: Weil es schlicht zu schwierig ist, meine 95-jährige Mutter mit Rollstuhl oder Rollator im Lastenrad zu transportieren.

Punkt-Linden: Stichwort Mobilitätswende
Grube: Ich halte sie in der aktuellen Umsetzung für gescheitert, solange keine guten, einfachen und bezahlbaren Alternativen existieren. Eine reine Antriebswende reicht nicht. Maßnahmen, die den Menschen den Alltag erschweren, halte ich für den falschen Ansatz.

Kultur, Parteiarbeit

Punkt-Linden: Es heißt, Du hättest zu wenig für Kultur und Kargah getan und Dich zu wenig bei den Grünen eingebracht.
Grube: Wer das behauptet, kennt meine Arbeit nicht. Man kann sich informieren oder bei Kargah selbst nachfragen. Der Vorwurf, ich hätte seit Jahren nicht an Fraktionssitzungen teilgenommen und den Anschluss verloren, empört mich. Es gab intensiven fachlichen Austausch per Mail, auch wenn dieser oft ohne Resonanz blieb. Wer sich von wem entfernt hat, sollten alle Beteiligten für sich klären – nicht über die Presse. Ob jemand den Anschluss verloren hat, entscheidet letztlich die Wählerschaft.

Fazit

Punkt-Linden: Dein Fazit?
Grube: Kann ich die Hose jetzt wieder hochziehen? Wie es weitergeht, weiß ich eigentlich nicht, ich bin kein Wahlkampfberater der Grünen, hätte aber gedacht, es wäre sinnvoll, sich jetzt nicht unbedingt den politischen Gegner in den eigenen Reihen zu suchen. Da ich inzwischen gehört habe, dass man die Votenliste bewusst mehr als 12 Monate vor der Wahl aufgestellt hat, damit bis zur Wahl Gras drüber gewachsen ist, bin ich sehr gespannt, wie es bis dahin weitergeht.
Für mich war diese Votenvergabe eine wichtige Lehrstunde in 29 Jahren Mitgliedschaft in der grünen Fraktion/Stadtteilgruppe. Sowohl in Sachen innerparteilicher Entscheidungsfindung (oder wie ich sie bei Grüns nie erwartet hätte) als auch in Form von Amtsmissbrauch, Ämterhäufung und vor allem einer besonderen Erkenntnis von Charakterfragen.
Scheinbar ist für einige Berichterstatterinnen das vorliegende Votum ja nicht nur ein grünes Bekenntnis, sondern auch die Beerdigung meiner Person; ich sehe das allerdings nicht so.
Schön, dass mich neben viel Hass und Müll auch sehr viel Ermunterndes erreicht, z. B. gerade ein anonymer Neujahrsgruß: Totgesagte leben länger.

Bildnachweis: Stefan Ebers

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