Am 31.08.2015 wurden der Hans-Jörg-Hennecke-Gang und das Lindemann-Haus eingeweiht. Bei einer kleinen Feierstunde am 73. Geburtstag des Lindener Autors wurden die Straßenschilder und die Gendenktafel enthüllt.
Musik: SpVgg Linden-Nord
Text: Kersten Flenter
Video: Achim Brandau
Hennecke-Gang
Ich habe Stroganow lange nicht gesehen, genauer gesagt, seit dem Tag, als er die Tür seines Kiosks zum letzten Mal abschloss; wobei das letzte Mal gleichzeitig das erste Mal war, dass er es von außen tat. Stroganow ist ausgewandert, in das Land, wo die Zitronen blühen, genauer gesagt, auf eine Insel, wo es mehr Schafe als Menschen gibt. Aber er lässt es sich natürlich nicht nehmen, noch einmal seinen alten Stadtteil zu besuchen, wenn schon ein verstorbener Freund Geburtstag hat. Ein Lindemann-Haus gibt es nun. Das ist überfällig. Stroganow denkt zurück an die Zeit, als er hier in einem Zimmer im dritten Stock, in dem der Zigarilloqualm festgemauert im Raume stand, mit Lindemann zusammen etliche Filme aufnahm. Optischer Trash vom Feinsten, diese Video-Kolumnen, aber die Worte Lindemanns zerschnitten messerscharf nicht nur die nikotingelbe Luft im Zimmer, sondern immer auch die mobverseuchte bundesdeutsche Wirklichkeit. Stroganow denkt gern daran zurück, auch in Italien, und oftmals denkt er: so einer wie der Lindemann, der fehlt.
Jetzt schaut Stroganow in den Tunnel neben Lindemanns Haus und sieht ein Schild mit der Aufschrift „Hans-Jörg Hennecke-Gang“. Ja, denkt Stroganow, ich habe gern zur Hennecke-Gang gehört. Das klingt nach einer Schar von Leuten, die mit klarem, kritischen, aber gleichsam humorvollen Verstand die Gesellschaft aufs Korn nehmen, die globalen Ereignisse auf den lokalen Kiez herunterbrechen, im Weltgeist den kleinbürgerlichen Verstand aufdecken, aber auch den guten, den schönen Kern des Menschlichen immer wieder hervorheben, anmahnen, mit einem ironischen Lächeln beschenken. Es gibt zu wenige davon. Heute, wo jeder, der ein Smartphone besitzt, sich gemüßigt fühlt, zu jedem noch so überflüssigen Modethema einen noch überflüssigeren Internetblog mit seinen Gedanken aus dritter Hand zu füttern, sehne ich mich nach oft nach einer kleinen Lindemann-Anekdote, von einem originellen Geist ersonnen und auf Papier gedruckt, so denkt Stroganow.
Stroganows Gedankengänge sind schön, aber ich bin etwas skeptisch. So ein Dunkelgang, ist das genug für einen Lindemann, genug für Hans-Jörg? Wäre es nicht angemessen, einen Weg, eine Straße, einen Platz, eine Avenue oder einen Boulevard nach ihm zu benennen? Ja, so einen Boulevard in Paris vielleicht. Hans-Jörg mochte Paris. Aber ich vermute, die Franzosen würden den „Boulevard Ans-Jorg Ennecke“ gar nicht richtig aussprechen können. Nun, so ein Gang unweit des Pariser Platzes ist allemal ein Anfang. Vielleicht ist so ein Tunnel ja auch genau das Richtige für Lindemann – man kann von beiden Seiten hinein sehen, und am Ende sieht man in jedem Fall ein Licht. Licht am Ende des Ganges. Ein indisches Licht quasi? Nein, ein Hennecke-Licht! Das scheint und strahlt, und scheint noch immer.