Ihme-Zentrum: „Der Konflikt war und ist gefroren“

Gerd Runge
Gerd Runge

Der Architekt Gerd Runge engagiert sich für das Ihme-Zentrum. Als Mitbegründer der dort ansässigen Zukunftswerkstatt setzt sich der 64-jährige Lindener seit inzwischen 20 Jahren für eine Revitalisierung der Großimmobilie ein. Hier im Interview mit Punkt-Linden.

Was bedeutet dieser Gebäudekomplex für Dich?
Ich wohne seit 41 Jahren mit Ausblick auf das Ihme-Zentrum. Es ist in jedem Fall die größte stadtplanerische Herausforderung unseres Stadtteils.

Wer ist die Zukunftswerkstatt Ihme-Zentrum und welche Perspektiven hat sie?
Ausgangspunkt zur Gründung der Zukunftswerkstatt war die Hoffnung, durch eine intermediäre Organisation positive Bewegung in die verhärtete Situation zwischen Großeigentümer, Wohnungseigentümern, Stadtgesellschaft, Politik und Stadtplanung zu bringen. Der Konflikt war und ist gefroren. Alle Beteiligten sehen die Lösungsmöglichkeiten immer nur bei den jeweils anderen Akteuren. Wir haben versucht, positiven Austausch durch das Ausleuchten der Hintergründe und Darstellung des Ihme-Zentrums als Möglichkeitsraum zu initiieren. Das hat leider nur teilweise geklappt.

„Traum-Ruine-Zukunft“ – so heißt der Film über den „Klotz“ an der Ihme. Hat der Traum noch eine Zukunft?
Zunächst muss man eingrenzen, dass die Ruine nur der Sockel ist – nicht die aufstehenden Gebäude. Die Wohnungen sind fast alle kein Problem. Zur Integration des Sockels in den Stadtteil haben wir Konzepte zur Nutzung, zur Energiesanierung, zum Mobilitätskonzept, zur Eingliederung in den Stadtraum, zur Verbindung der öffentlichen Freiflächen und zur Einbindung in das Wegesystem der umliegenden Stadtteile vorgelegt. Die sind von sehr qualifizierten Personen und Institutionen (Stadtplanerverbänden, Architektenkammer – inkl. deren Präsident, dem Bund Deutscher Architekten und Immobilien- und ProjektentwicklungsspezialistInnen bis hin zum ehemaligen Wirtschaftsdezernenten) erarbeitet worden. Zuletzt haben wir mit der Denkschrift auch sehr konkrete Vorschläge zur Umsetzung vorgestellt, für die wir die Unterstützung von 600 Personen bekommen haben. Leider haben wir von der Stadtplanung und der Stadtverwaltung keine fachliche Antwort bekommen, die über die Alternativen „Wir können nichts machen oder wir sind nicht zuständig“, hinausgegangen wären.

Was hältst Du von den Plänen des Insolvenzverwalters Wilhelm, die Eigentumsanteile der Windhorst-Firma PIZ aufzusplitten?
Sehr viel. Ich habe schon 2003 öffentlich gesagt, dass das Einkaufszentrum des Herrn Engel scheitern wird – wie dann ja auch alle großspurigen Konzepte der folgende Großeigentümer. Wir glauben, die Zukunft des Ihme-Zentrums wird sich aus der Stadtgesellschaft entwickeln. Dazu gehören – wie überall auch in der Stadt öffentlich gewidmete Weg und Zugänglichkeiten und eine Aufteilung der Eigentumsanteile. Die europäische Stadt lebt davon, dass öffentliche Eigentumsflächen private Parzellen begrenzen. Auf diesen Flächen können unterschiedliche Privateigentümer ihre Konzepte entwickeln. Das ist eine Eigentumsstruktur, die im Ihme-Zentrum fehlt. Sie ist aber für die nachhaltige Regeneration erforderlich. Sie ist Grundlage für die fortwährende Anpassung des Ihme-Zentrums an die sich wandelnden, zukünftigen Bedürfnisse der Stadtgesellschaft.

Ihme-Zentrum
Marodes Sockelgeschoss vom Ihme-Zentrum an der Spinnereistraße

Die Zukunftswerkstatt fordert, das Ihme-Zentrum zum Sanierungsgebiet zu machen und öffentliches Geld zu investieren. Ist das notwendig?
Ich habe ca. 50 Rundgänge mit Interessierten durch das Ihme-Zentrum gemacht. Keiner der TeilnehmerInnen hat hinterher bestritten, dass wir hier ein städtebauliches Problem haben. Tatsächlich sind Mitarbeiter des Stadtplanungsamtes die Einzigen, die das bestreiten. Für die Beseitigung von städtebaulichen Missständen bietet das Baugesetzbuch einen Instrumentenkasten. Mit einer vorbereitenden Untersuchung werden Entscheidungsgrundlagen zusammengestellt und wird geklärt, welches Instrumentarium geeignet ist. Dazu gehört auch, ob und welche öffentlichen Mittel bereitgestellt werden. Auf dieser Entscheidungsgrundlage beschließt der Stadtrat, ob die Mittel für den Nutzen für die Stadtgesellschaft angemessen sind.

Die Integration des Sockels des Ihme-Zentrums ist ein städtebauliches und kein privates Problem – wie die Stadtverwaltung behauptet. Sie hat mit drei Fehlentscheidungen maßgeblich die Isolation des „Klotzes“ verursacht. Das Ihme-Ufer als eingebundene öffentliche Freifläche entstand nicht, weil die noch während des Baus des Ihme-Zentrums geplante Verlegung der Ihme in Richtung Glocksee gestrichen wurde. Die Einbindung in das Wegesystem der umliegenden Stadtteile fehlt, weil die Stadtverwaltung die noch in der Teilungserklärung unterzeichnete öffentliche Widmung der Wegeverbindungen auf dem Grundstück des Ihme-Zentrums nicht umgesetzt hat. Schließlich trennt die riesige disfunktionale Verkehrsfläche auf dem Küchengarten den Stadtteil vom Ihme-Zentrum. Für die Beseitigung dieser städtebaulichen Probleme muss die Kommune ergänzende Mittel des Landes- und des Bundes in Anspruch nehmen, weil es da um unrentierliche, aber notwendige städtebauliche Verbesserungen geht. Bei meinen Rundgängen waren auch Gruppen von Landes- und BundespolitikerInnen dabei. Die haben diese Sicht nicht bestritten.

Auch manche Wohnungseigentümer im Ihme-Zentrum haben Vorbehalte gegen das Sanierungsgebiet. Sind diese Befürchtungen begründet?
Die Befürchtungen beziehen sich vor allem auf die zeitweilige Beschränkung der Eigentumsrechte im Sanierungsgebiet, mit denen sich die öffentliche Hand ausreichende Handlungsmöglichkeiten sichert. Wir hatten und haben in Hannover 13 Sanierungsgebiete – Linden-Nord, Linden-Süd, die Nordstadt, Oberricklingen, Stöcken, Vahrenheide – um nur einige zu nennen. Ich selbst war als Mitglied der Mietergruppe Linden-Nord und Aufsichtsratsvorsitzender der Wohnungsgenossenschaft Selbsthilfe Linden stark an der Sanierung in Linden-Nord beteiligt. Dass dort der Immobilienhandel während der Sanierung zum Erliegen gekommen wäre oder dass in diesen Stadtteilen „Sowjet-Republiken“ nach Abschluss der Sanierung zurückgeblieben wären, ist völliger Unsinn. Die Ausgleichsbeträge für die erheblichen öffentlichen Förderungen sind immer gering und werden anhand der Grundstückgröße bemessen. Auf die Wohnungseigentümer im Ihme-Zentrum kommen bei 13-stöckigen Gebäuden deshalb nur sehr geringe Belastungen bei sehr hohem Nutzen zu. Zudem werden die notwendigen Unterhaltungsarbeiten an den Wohnungen im Sanierungsgebiet durch Steuererleichterungen nach § 7 des Einkommenssteuergesetzes unterstützt.

Rechtsanwalt Wilhelm, der Insolvenzverwalter des Großeigentümers PIZ, erkennt im Ihme-Zentrum Potenziale, die er nutzen will. Glaubst Du, dass er das Ihme-Zentrum sanieren kann?
Gemeinsam habe ich mit dem Insolvenzverwalter, dass ich im Ihme-Zentrum ein großes Potenzial sehe. Meine Prognose ist, es wird aber nur gemeinsam gehen: Eine Riesenchance ist jetzt, dass die Geschäfte der PIZ wieder konstruktiv und mit wirtschaftlicher Vernunft geführt werden. Die PIZ und die Kleineigentümer im Ihme-Zentrum müssen sich auf eine Lösungsstrategie für die Bausubstanz, die Nutzung und die Flächenverteilung im Sockel einigen. Parallel dazu müssen die städtebaulichen Probleme von Politik und Stadtplanung angegangen werden. Nur, wenn beides gleichzeitig passiert, wird die Sanierung erfolgreich sein. Mit der Sanierungskommission nach Baugesetzbuch steht ein demokratisches Beteiligungsformat zur Verfügung, um einen gezielten Interessenausgleich auszuhandeln und zu koordinieren. Damit haben wir schon in Linden-Nord gute Erfahrungen gesammelt. So sollten wir möglichst bald anfangen.

Land unter im Ihme-Zentrum
Hochwasser am Ihme-Zentrum, 30.12.2023

Bildnachweis: Wolfgang Becker, Kaisar Ahamed