
Für viele Bürger ist es wahrscheinlich gar nicht so präsent, dass in der Nazizeit Judenhäuser existierten. In denen wurden die jüdischen Kinder und Erwachsenen gesammelt, um sie dann anschließend zu deportieren. Zwei davon standen damals in der Ohestraße, sie wurden in den 70er-Jahren abgerissen. Regina Hennig und Dirk Addicks vom Forum Ohe-Höfe haben zu dieser besinnlichen Veranstaltung einen beeindruckenden Bericht geschrieben:
Als die Klänge der Blasharmonika ertönten, wurde es still in der beachtlichen Menge, die sich vor dem Mahnmal auf dem Schulhof der Ohestraße in der Calenberger Neustadt versammelt hatte. Rund 100 Teilnehmende waren der Einladung der AG Geschichte der Ohestraße gefolgt, darunter auch als Ehrengast die 92-jährige Ruth Gröne, die 1941 als 8-Jährige mit ihren Eltern und Großeltern ins „Judenhaus“ Ohestraße zwangseingewiesen worden war.
Holger Kirleis schaffte es in berührender Weise, im weiteren Verlauf der Gedenkstunde mit verschiedenen Blasharmonikas vorwiegend jüdisches Liedgut zu präsentieren, und der Veranstaltung damit einen würdigen Rahmen zu verleihen.
Thomas Klapproth, Bürgermeister der Landeshauptstadt, stellte in seinem Grußwort heraus, dass die Ohestraße untrennbar mit der reichhaltigen jüdischen Kultur der Stadt Hannover verbunden ist. Hier waren einst eine Einrichtung zur Lehrerausbildung, ein Kindergarten sowie eine Küche zur Verpflegung Bedürftiger. Er erinnerte auch an den berühmten Kantor der Neuen Synagoge, Israel Alter und seine Familie, die in der Ohestraße lebten, bis sie 1935 emigrieren konnten. „Das gesellschaftliche, gemeinschaftliche Wegsehen und der mobilisierte Hass der Nazis führten letztlich zur Katastrophe“, so Thomas Klapproth und schlussfolgerte für heute, auch angesichts einer vielfältigen jüdischen Kultur in unserer Stadt, dass „in Hannover kein Platz für Hass und Hetze mehr sei“. Er dankte für das Engagement und die Teilnahme und schloss mit den Worten: „Wir stehen zusammen für eine Gesellschaft, die von Respekt, Solidarität und Mitgefühl geprägt ist.“
Es wurden einige ehemalige Bewohner der Ohestraße vorgestellt

Mitglieder der AG Geschichte stellten mit Fotos und Texten ausgewählte Personen vor, die von der Ohestraße über Ahlem nach Riga deportiert und dort ermordet wurden. „Wir wollen den Opfern Namen und Gesicht verleihen“, stellte Regina Hennig von der AG klar. Julius Bernd Isenstein, damals, im Jahre 1941, 15 Jahre, Hans Katz und Gerd-Dieter Kreuzer, beide 14 Jahre, gingen hier zur Schule, als die jüdische Volksschule für kurze Zeit in die Ohestraße ziehen musste, und waren danach mit ihren Familien hier zwangseingewiesen. Julius Bernd wurde in Auschwitz ermordet, Gerd-Dieter in Riga. Hans Katz überlebte als einziger der drei, emigrierte nach Südafrika und starb dort verarmt 2013. Sura Bazyler und das Ehepaar Frieda und Siegmund Edelstein wurden vorgestellt. Sura Bazyler lebte mit ihrer großen Familie in der Knochenhauerstraße, ihr Mann hatte dort ein Schuhgeschäft. Sie schaffte es, ihre beiden Töchter nach England in Sicherheit zu bringen. Sie selbst wurde in Riga ermordet.
Das Ehepaar Edelstein lebte nach dem Umzug aus Minden mit ihrem Pflegesohn Walter Raphael im Volgersweg 14, wo heute Stolpersteine an sie erinnern. Beide kamen in Riga ums Leben. Walter Raphael, der noch rechtzeitig nach New York emigrieren konnte, gab später den Anstoß für die Entstehung des Mahnmals, vor dem sich übrigens auch Stolpersteine befinden.
Dr. Jens Binner, Leiter des ZeitZentrums Zivilcourage, skizziert in seinem Beitrag aktuelle Aspekte der Erinnerungskultur. Diese werde gegenwärtig, so auch Veranstaltungen wie diese, kritisiert. Insbesondere aus dem rechten politischen Spektrum werde unter Schlagwörtern wie „Schuldkult“ eine erinnerungskulturelle Wende um 180 Grad gefordert, weg von einem über Jahrzehnte erkämpften reflektiven Geschichtsbewusstsein hin zu einem heroischen Verständnis von Geschichte. Und fasste diese Angriffe von rechts mit den Worten zusammen:
Geschichte glauben, nicht lernen
„Die Menschen (…) sollen die Fähigkeit verlieren, auf Grundlage eines informierten und eigenständig gebildeten Urteils ihre Entscheidungen zu treffen. „… Kurz, sie sollen nicht mehr aus der Geschichte lernen, sie sollen an die Geschichte glauben.“ Seit dem 7. Oktober 2023 werde aber auch eine Kritik aus dem linken Spektrum stärker, weil die Erinnerungskultur angeblich einer neutralen Beurteilung der israelischen Politik im Wege stehe. Dabei sei aber festzustellen, dass Gedenkveranstaltungen ihre Berechtigung haben und behalten. Das Andenken an die Opfer ist insbesondere für die Angehörigen sehr wichtig. Es müsse dabei wieder bewusst werden, dass jüdischen Menschen mit dem Nationalsozialismus ihre Familiengeschichte, ihre Verwandtschaft genommen wurde. Eine Prägung, die für immergelte.
Schüler der BBSen haben eine klare Meinung

Petra Riedewald, Lehrkraft für Englisch und Werte und Normen an der BBS 3, berichtete aus ihrer Praxis, dass ihre Schülerinnen und Schüler deutliches Interesse an der Geschichte dieses Ortes zeigen. Zwei Schüler, Felix Stephan und Yatharth Akashjeet, aus der Berufsfachschule Holz stellten beispielhaft Aussagen von Mitschüler*innen zur Frage, ob eine Auseinandersetzung mit der damaligen Zeit heute noch notwendig und sinnvoll ist. Zum Beispiel:
- „Ja, ich finde es sinnvoll, damit die Menschen verstehen und darüber aufgeklärt werden, um so etwas in Zukunft zu vermeiden. Vielen ist, glaube ich, gar nicht bewusst, was genau vor 80 Jahren passiert ist und wie schlimm es eigentlich war. Daher finde ich es weiterhin sinnvoll, über das Thema aufzuklären.“
- „Es ist vor allem wichtig, der Opfer und den Angehörigen zu gedenken, sowie heutige Anzeichen von versteckten, rassistischen Strukturen nicht zu übersehen und dagegen etwas zu unternehmen.“
Mit einem Zitat von Margot Friedländer, die im Mai 2025 103-jährig starb, und einem Dank für die Teilnahme beendete Dirk Addicks von der AG Geschichte der Ohestraße die Gedenkstunde:
„Schaut nicht auf das, was euch trennt, sondern auf das, was euch verbindet!“ Im stillen Gedenken, auch an die Opfer von Sydney, legten die Besucher*innen Blumen am mit zahlreichen Kerzenlichtern beleuchteten Mahnmal nieder.