CircO erhält Stadtkulturpreis des Freundeskreis Hannover e. V.

Laudatio von Erwin Schütterle

Das gab es noch nie: Vor 570 Freundinnen und Freunden Hannovers vergeben wir heute den 17.Stadtkulturpreis. Einen Preis vor 570 Menschen zu verleihen, macht ihn natürlich noch wertvoller, adelt ihn geradezu. Und da einige von diesen 570 Menschen heute zum ersten Mal etwas vom Stadtkulturpreis hören, ist es bestimmt angebracht, zunächst – in aller Kürze – etwas über den Preis und die bisherigen Preisträger zu sagen:

1995 beschloss der Vorstand unter seinem Vorsitzenden und jetzigen Ehrenvorsitzenden Prof. Goehrmann jährlich einen mit 10.000 DM ausgestatteten Preis für beispielhaftes Bürgerengagement zu vergeben. Es sollen Personen oder Institutionen ausgezeichnet und geehrt werden, die über ihre beruflichen Aufgaben hinaus, die Stadtkultur positiv und nachhaltig bereichern und mit ihrem Engagement Hannover noch lebens- und liebenswerter machen. Manch einer von Ihnen mag an dieser Stelle fragen, was ist Stadtkultur? Für den Freundeskreis-Vorstand, der gleichzeitig auch Preisjury ist, bedeutet Stadtkultur nicht allein Theater, Oper, Musik, Festivals – Stadtkultur ist für ihn vor allem die Antwort auf die Frage: Wie gehen die Menschen einer Stadt miteinander um, wie helfen die Starken den Schwachen, wie tragen sie selbst dazu bei, den städtischen Alltag zu verschönern und sinnvoll die Weichen für die Zukunft zu stellen. So gesehen lagen wir mit den bisherigen Preisträgern wie z.B. Ralph Büsing, Lars Kompa, Christiane Winter, Otto Stender, Mousse T. oder den ausgezeichneten Institutionen und Projekten wie Asphalt, Sterbe-Hospiz Luise, Pavillon oder Freiwilligenzentrum „goldrichtig“.

Wir feiern heute den Zusammenschluss zweier Bürgervereine zu einer großen starken Bürgerstimme Hannovers. Da trifft es sich gut, dass die Jury bei der Auswahl der diesjährigen Stadtkultur-Preisträger das Thema Zukunft explizit in den Vordergrund gestellt hat und nicht umhin kam, den Preis wieder einmal auf eine Person und eine Institution aufzuteilen. Beide Preisträger zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich mit Leib und Seele mit Kindern befassen, sie beglücken, sie ohne erhobenen Zeigefinger fürs Leben stärken und sie ungeachtet ihrer Herkunft untereinander verbünden. Der technische Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, genauso wenig die Bemühungen der Wirtschaft, die Kinder als eifrige Konsumenten zu gewinnen. Das muss man nicht verteufeln, Fortschritt hat immer auch etwas Positives. Wichtig ist meines Erachtens, dass die Kinder nicht allein der Technik überlassen oder – noch schlimmer – ausgeliefert werden, sondern dass ihnen verstärkt Alternativen und Freiräume angeboten werden, die sie selbst – im Idealfall: lustvoll – ausfüllen können. Da sind Eltern und die Gesellschaft gefragt. Als aufmerksamer städtischer Kulturwahrnehmer behaupte ich: im gesellschaftlichen Bereich ist Hannover diesbezüglich sehr gut aufgestellt Das beweisen und untermauern wir mit jedem – auch dem heutigen – Stadtkulturpreis: Ich will Sie daher jetzt nicht mehrlänger auf die Folter spannen und Ihnen verraten: Den Stadtkulturpreis 2011 hat verdient der Pädagoge, Künstler, Musikant (er sagt sinngemäß: ein Musiker spielt für den Kopf, ein Musikant für die Seele), Philosoph, Liedermacher, Animateur und Kinderwaldgründer Manfred Kindel, besser bekannt als Unmada.

Vor 30 Jahren hat er den Namen Unmada, übersetzt heißt er so viel wie verrückt im positiven Sinne, von einem indischen Meister erhalten. Seit 30 Jahren macht Unmada in Hannover Zukunft, indem er Kinder begeistert, zum Singen animiert und sie auch spielerisch für die Natur und Umwelt sensibilisiert. Er spielt allein, zu zweit, mit seiner Piraten-Band, den Weltmusikern Erdenkinder oder seinem Kinderwaldchor. Man trifft ihn im Pavillon, auf dem Maschseefest, auf der Lister Meile, auf der Messe, im Kinderwald oder an der Spitze der jährlichen MASALA-Kinderkarawane, kurzum: in der ganzen Stadt. Apropos Kinderwald: Allein sein 1996 gegründeter und jährlich von 7000 kleinen und großen Menschenbesuchter „Kinderwald“ hätte allein schon den Stadtkulturpreis verdient. (Er liegt beim Mecklenheider Forst – hinterm VW-Werk – sollten Sie unbedingt mal anschauen!)

Man könnte jetzt von einer „interdisziplinären Umgangsweise, verbunden mit einem didaktischen Konzept“ oder von der Verknüpfung von „sozialen, ökologischen und kulturellen Aspekten“ und ähnlichen theoretischen Überlegungen sprechen. Viel einfacher ist dem Phänomen Unmada jedoch mit den Worten einer Mutter beizukommen: „Er macht die Kinder mutiger, bewusster und stärker. Nichtlehrmeisterlich, sondern meisterlich“ und ihre 10-jährigen Tochter beschreibt Unmada so: „graue Haare, meistens ´nen Hut auf, nett, lustig, supernett. Unmada wandelt die Seele in eine fröhliche Seele.“ Kein Wunder: Er schreibt keine Kinderlieder, er schreibt Ohrwürmer, die Kinder im Hier und Heute abholen und möglicherweise ihre Leben lang nicht vergessen (und insgeheim auch von den Erwachsenen gerne mitgesungen) werden. Eine kleine Hitliste: „Alles Banane“, „Eins, zwei, drei Kartoffelbrei“, „Pi, Pa, Po, Piraten u.v.a. Was Unmada noch auszeichnet und ihn von anderen Kinderliedermachern heraushebt, ist der spielerische Einsatz von Gebärden beim Vortrag seiner Lieder. Damit ersingen sich Kinder einen „Grundwortschatz“ der Deutschen Gebärdensprache, die Fähigkeit, intensiver und nachhaltiger zu lernen und die Chance, mit behinderten Menschen kommunizieren zu können. Abschließend sei mir noch der Hinweis gestatte, dass Unmadas partnerschaftlich-liebevoller Umgang mit den Kindern eindeutig die Handschrift seines Lehrers und Mentors Wolfgang Bergmann verrät. Leider ist dieser hochgeschätzte hannoversche Kinderpsychologe im Mai dieses Jahres verstorben. Die Institution, die für wegweisende Arbeit mit und für Kinder ebenfalls mit dem Stadtkulturpreis 2011 ausgezeichnet wird, ist die Dachorganisation, die Ausbildungszentrale, die Projektschmiede, das Zeughaus, das hannoversche Netzwerk für Zirkuskünste – kurz CircO genannt.

Ich gestehe, es ist gar nicht so einfach, das Aufgabenfeld und die Struktur von CircO zu beschreiben -vor allem nicht mit wenigen Worten. Ich will es trotzdem versuchen und fange mal hinten an: Hannover ist ohne Zweifel eine Zirkushochburg, die Varieté-Hauptstadt Deutschlands und ein Kleinkunst-Mekka. Kein Zirkus fährt an Hannover vorbei, hier werden jährlich 20 verschiedene Varieté-Programme kreiert und das „Kleine Fest im Großen Garten“ hat ein hannover begeisteter Kolumnenschreiber kürzlich sogar wegen seiner Anziehungskraft und seiner Qualität mit den Bayreuther Festspielen verglichen. Wussten Sie, dass 1991 in Hannover Deutschlands erster Verein für Jongleure, Clowns und Akrobaten – Balance e.V – und bereits vor 27 Jahren der Wettberger Kinderzirkus Giovanni gegründet wurde und dass erst jetzt am vergangenen Wochenende in Hannover eine Fachtagung der Bundesarbeitsgemeinschaft Zirkus stattfand, an der 150 Zirkusmacher aus ganz Deutschland sich über den „Zirkus im Spannungsfeld zwischen Kunst und Kultur“ austauschten (und von Hannover hoch beeindruckt waren)? Es ist auch geradezu ein Glücksfall, dass wir hier in der Orangerie Herrenhausen, in der gerade eine faszinierende Varieté-Show – von der wir heute einige Kostproben erleben durften – die Menschenverzaubert hat und verzaubern wird, dass wir hier den Stadtkulturpreis einer Institution verleihen, die zirkusbegeisterte Kinder und Jugendliche inspiriert, sie begleitet und fördert und selbst dann, wenn sie die Weichen anders stellen, ihnen unwahrscheinlich viel fürs Leben mitgibt. Kinder erkennen – wie bei Unmada: spielend und ohne irgendwelche Zugangsbeschränkungen – ihre Grenzen, ihre Möglichkeiten, ihre Fähigkeiten. Sie trainieren Verantwortung und üben Verlässlichkeit, können sich selbst ausprobieren und erfahren die Kraft eines starken Gemeinschaftsgefühls. „Ich bin ich, du bist du, gemeinsam sind wir wir“. Durch gemeinsame Auftritte und im gesunden Wettstreit, der im Gegensatz zu den meisten Sportarten, keine Sieger und keine Verlierer kennt, werden sie selbstbewusst, Beifall lässt sie aufblühen. (Da könnte man fast neidisch werden)

Ich will Sie jetzt nicht verwirren mit Organisationsfragen, Vorgängermodellen, der Verbindung von CircO mit der LAG (Landesarbeitsgemeinschaft Zirkus Niedersachsen), mit der Frage wie wenig Geld das Land und wie viel Geld die Stadt in dieses Zukunftsprojekt investiert, sondern Ihnen lieber kurz und bündig vermitteln, dass nicht weniger als 30 autarke Kinderzirkusgruppen oder Zirkus-Arbeitsgemeinschaften in der Region Hannover jetzt nicht mehr allein vor sich hin balancieren, sondern bei CircO Hilfe, Unterstützung und Fachrat erhalten. (Ich muss an dieser Stelle ganz aktuell auf den„ Lernatlas“, der heute in den Medien vorgestellt wurde, eingehen und behaupten: Wenn dieBertelsmann-Stiftung u.a. die 600 Kinder, die unter dem CircO-Dach wöchentlich sich fortbilden, die 7000 kleinen und großen Menschen, die jährlich Unmadas Kinderwald besuchen, die 1600 Kinder, die von MENTOR beim Lesen gefördert werden und die zahlreichen Kinder, die von vielen Freiwilligen, organisiert vom Freiwilligenzentrum, Lese- und Lernhilfe geschenkt bekommen, dazu gezählt hätte, stände die Region Hannover bestimmt auf einem besseren Tabellenplatz. Zurück zu CircO:) CircO besorgt Räume, Lehrer, so gut es geht finanzielle Mittel sowie technisches Equipment bis hin zum Zirkuszelt. CircO bietet spezielle Workshops und Seminare an, organisiert internationalen Austauschund gemeinsame Auftritte wie z.B. den jährlichen glanzvollen Galaabend im – ja wo denn – GOP Hannover. Mit dieser Verbindung zum GOP kommt auch zum Ausdruck, dass die von CircO betreuten „Zier-küsse“ nicht dem traditionellen Zirkus mit Tierdressuren und dummen August nacheifern, sondern eher den neuen, modernen, französisch-kanadischen Zirkusstil pflegen, der sich unverkennbar immer mehr mit der (wieder voll) etablierten Kunstform Varieté kreuzt.

Das Wichtigste zum Schluss: So ein Projekt wie CircO kann man nicht so einfach in die Welt setzen. Es braucht den Zündfunken, eine gewisse Entwicklungszeit und es braucht vor allem eine Seele, es braucht kinderliebende Zirkusverrückte und auch viele Ehrenamtliche, die dieses Unternehmen mit Leben und Energie versorgen und es braucht ein Kulturamt, das diesem Projekt die nötige finanzielle und ideelle Rückendeckung verschafft. Dem Vernehmen nach lernte sich die CircO-Keimzelle vor vielen Jahren am Rande eines Kongresses „Neue Lernformen“ kennen. Es waren der IGS-Lehrer Wolfgang Pruisken sowie Dieter Wuttig und Bärbel Kuhlmey vom Bereich Stadtteilkulturarbeit des Kulturamtes. Stellvertretend für das gesamte CircO-Team übergeben wir heute den Preis dem CircO-Direktor (ja, bei einem Zirkusprojekt ist der Leiter ein Direktor) Wolfgang Pruisken und der mit allen Zirkuswassern gewaschenen Projektmanagerin Svenja Dunkel. Wegen einer Reha-Maßnahme ist Ulrike Richter, Netzwerkmanagerin oder viel besser gesagt die „Mutter der Freizeitheime“ heute leider nicht dabei. Ich bitte die Preisträger jetzt auf die Bühne, bedanke mich bei Ihnen, liebe Hannover Freundinnen und Freunde, für Ihre Aufmerksamkeit und bitte Sie, (auch) die Preisträger mit einem wohlverdienten Applaus zu beglücken und damit auch das Argument zu bekräftigen, das Prof. Lehmann bei der Jury-Sitzung vorbrachte: Er sagte kurz und bündig: „Kinder sind Zukunft“.

22.11.2011